PD-Ansätze mit dem Versuch neurowissenschaftlicher Grundlegung

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It is very difficult to imagine all the crazy things, that things really are like.

Hey.

Ich bin der Community hier sehr dankbar, ihre Inhalte haben meine Hinwendung zu einem Thema, welches mich mit leidenschaftlichem Interesse erfüllt begleitet und ihr Erfahrungsschatz hat in meiner sozialen Entwicklung sehr geholfen.

Im Moment ist es ein bisschen in im Forum, dass hier jeder zweite sein Manifest im PD-Bereich verfasst.

Erst dacht ich so voll scheiße und jetzt stell einen etwas aufgearbeiteten Verarbeitungstext von mir selbst zum Thema "philosophische Schlußfolgerungen aus dem was ich über Neurologie gelernt habe" rein. Tja. Es geht erstmal nur um wenig, ich wollte euch auch nicht direkt die volle Dröhnung Neurostuff geben.

Apologies an alle die bei meinem Schreibstil nicht durchsteigen und in der Hoffnung, dass der ein oder andere diese Art an das Thema heranzugehen interessant findet.

Merry Christmas folks.

--------

Leider muss ich mit einer Aussage anfangen, die ich im gegebenen Rahmen nicht großartig weiter motiviere, was weniger schlimm wäre, wenn sie nicht so erschreckend nach Evolutionspsychologie miefen würde. Sie lässt sich aber, soviel sei gesagt, sowohl philosophisch (Stichwort "Akrasia"), als auch neurobiologisch und neuropsychologisch gut motivieren, sogar ohne sonstige Teile der Psychologie zu rekrutieren:

Die höhere Kognition steuert nur sehr beschränkte Teile unseres Verhaltens.

Das Bewusstsein, welches sich vor allem aus Prozessen in der Hirnrinde zusammensetzt, ist eine entwicklungsgeschichtliche junge Erscheinung und war auf evolutionär relevanten Zeitskalen kaum geeignet primärer oder gar alleiniger Selektionsvorteil zu sein.

Das heißt affen-artiges Verhalten war ebenso selektionsentscheidend. Zumal sich auch gezeigt hat, dass die Hirnrinde vor allem effizient arbeitet, wenn grundlegendere Prozesse im Gehirn gut laufen.

Affen-artiges Verhalten bedeutet in dieser Situation Verhalten welches geeignet ist unser Belohnungssystem zu beanspruchen.[1] Dies neben dem offensichtlichen Grund, dass es die Zufriedenheit steigert, auch da es für den Aufbau von sich in psychologisch als hohes Selbstwertgefühl ausdrückenden Gewohnheiten ganz grundlegend ist.

Für uns bedeutet das zuerst die Arbeitsweise unseres Belohnungssystems zu verstehen, weil dies Grundlage für effiziente, bzw. vorteilige kognitive Prozesse ist, sowohl auf neuropsychologischer Ebene, durch die stärkere Beanspruchung des Arbeitsgedächtnis, wie auf neurochemischer Ebene durch Dopaminausschüttung in den Hirnrindengegenden.

[1] Nicht weil "der Affe in uns hedonistisch ist", sowas ist Stammtischniveau. Das "Belohnungsgefühl" ist nur unsere subjektive Erfahrung der Aktivität des Belohnungssystems, eigentlich ist es eine Langstreckenverknüpfungsinstanz und dient somit auch dem Auslösen von Prozessen, die evolutiv erfolgreiche Verhaltensweisen miteinander in Beziehung setzen.

Das Gehirn ist ein lernendes Netzwerk.

Wir neigen dazu uns das Gehirn "metaphorisch" als Computer vorzustellen. Das verwischt den Blick dafür, dass das Gehirn ganz fundamentale Unterschiede zu prozedural arbeitenden Computern hat: Es arbeitet parallel, es speichert Information in der Struktur des Netzwerks selbst, nicht in Speicherzentren und es verändert somit seine Hardware selbst.

Der erste Punkt ist leicht mit einer kleinen Rechnung erklärt: Wenn wir annehmen, dass wir einen Menschen in etwa 0,1 Sekunde erkennen können (wenn er uns gut bekannt ist, oder so) und die Weiterreichung eines Signals am Neuron eine Tausendstelsekunde dauert, können zwischen Eingang des Reizes und dem Erkennen nur 100 sequentielle Verrechnungsschritte liegen - weil es aber parallel arbeitet sind in diesen hundert Schritten bis zu mehreren Millionen einzelne Verrechnungen gewesen. Das sind gewaltige Mengen an Prozessen, die auf diese Weise sehr schnell bearbeitet werden können.

Was bedeutet es aber, dass das Gehirn in der Struktur des Netzwerkes selbst speichert? Neuronen können nur 1/0-Signale an andere Neuronen aussenden, effektiv mehr machen die erstmal nicht. Diese Signale kommen bei allen angeschlossenen Neuronen, das können so bis zu 10000 sein, an. Die Signale werden an den Verbindungen gewichtet (! das ist wichtig) und alle an einem Neuron ankommenden Einsen mit Gewichtung (also Gewichtung mal Eins) müssen nun einen vom Neuron abhängigen Schwellwert auslösen, dann feuert das angesteuerte Neuron.

Information speichert das Gehirn nun ausschließlich, in dem es die Gewichtungen an den Verbindungen/Synapsen verstärkt oder abschwächt, Schwellwerte also schneller oder langsamer erreicht werden, und indem Neuronen neue Synapsen zwischeneinander ausbilden - das ist aber der sekundäre Effekt, denn er wird auch durch die Veränderung der Gewichtung ausgelöst. (Das hat biologische/elektrochemische Gründe.)

Die Frage jetzt, wann verändern sich denn die Gewichtungen an den Synapsen. Immer dann, wenn Verbindungen häufig angesprochen wurden. Je öfter wir etwas tun, desto besser lernen wir es. Mensch, was für eine bahnbrechende Erkenntnis!

Aber hier kommt der Kicker: Alles was ein Mensch tut, also auch sein Denken und seine Verbindung von Inhalten mit Emotionen, was wir also im Wesentlichen unter Persönlichkeit zusammenfassen, ist in Schaltkreisen im Gehirn gespeichert, die sich stärker vernetzen je öfter sie gemeinsam arbeiten. Auch dies ist freilich für viele schon bekannt, ist doch eine wenig radikale Schlußfolgerung daraus schon lange zum Inhalt von Verhaltenstherapien, New-Age-Bewegung und Selbsthilfebüchern geworden.

Die provokative und in dieser Absolutheit freilich maßlos übertriebene aber in ihrer Radikalität richtige Schlussfolgerung ist hier: Nichts, wirklich nichts ist auf Dauer festgeschrieben. Wir sind, zu jedem Zeitpunkt in unserem Leben, die Summe unserer Lernprozesse, das heißt der Ausdruck unserer daraus resultierenden aktuellen Gewohnheiten.

Kommen wir jetzt zum Belohnungssystem zurück, ist die Schlußfolgerung sehr einfach: Wir können lernen, Gewohnheiten zu haben, die unser Belohnungssystem ansprechen.

Was wäre das? Ein paar Beispiele:

Aufmerksam für Sinneseindrücke sein: Das bewusste Wahrnehmen von Sinneseindrücken führt mit großer Regelmäßigkeit zu Ereignissen, die das Belohnungssystem ansprechen. Oder praktischer: Wenn ich bewusst um mich sehe, sehe ich viel Scheiße, aber auch immer wieder Schönes. Was dabei übrigens ein netter Effekt ist, ist dass bestenfalls eine Handvoll dieser schönen Eindrücke langfristig gespeichert wird und man auch jeden Morgen immer wieder die Schönheit auf dem immergleichen Weg zur Arbeit sehen kann.

Sinnliche Erfahrungen machen: Wer mal in seiner eigenen kleinen Butze gelebt hat, kennt sicherlich den Unmut über den zu machenden Abwasch, aber auch die Befriedigung ihn gemacht zu haben, vor dem Werk der eigenen Klauen zu stehen und die Sauberkeit zu bewundern.

Eine vergleichbare Befriedigung hat das Drücken auf den Knopf der Spülmaschine nicht. Wir lernen jetzt lieber nicht die Technik und Zivilisation komplett abzulehnen, aber dass es gut ist, einfach öfter mal Kram zu machen: Nüsse knacken, kauen, irgendetwas tragen, Obst schnippeln, Sport, Jonglieren, Abspülen, völlig egal eigentlich.

Es ist offensichtlich evolutionär sinnvoll, das Nachgehen von in nicht-technisierten Lebensumständen (also im Prinzip bis vor höchstens 10.000 Jahren) lebenserhaltenden Verhaltensweisen neurochemisch zu belohnen.

Amüsanterweise steigern solche Sachen insbesondere die Zufriedenheit, nicht unbedingt die Fähigkeit zur Freude. In Selbsthilfebüchern äußert sich diese Einsicht häufig in Appellen daran, die kleinen Dinge zu genießen, aufmerksam möglichst viele Momente zu leben.

Soziales: Soziale Interaktion triggert ganz massiv unser Belohnungssystem. Und auch das ist gut so: Weil wir so von jedem etwas lernen können. Es lohnt sich quasi Menschen kennenzulernen, Menschen einen kennenlernen zu lassen. Die moderne Ästhetik zelebriert die große Einsamkeit als letze Wahrheit der menschlichen Existenz, man denke bloß an diesen Film, Melancholia.

Die letzte Wahrheit menschlicher Existenz ist wohl viel eher, dass unser Gehirn und die Teile die wir davon mitbekommen, in aller erster Linie für die Zwischenmenschlichkeit optimiert sind, das wir gar solche beeindruckenden Dinge wie Spiegelneuronen hervorgebracht haben, somit sogar auf physikalischer Ebene mit jedem Menschen dem wir begegnen, ein bisschen verbunden sind.

Ich weiß, dass grade der verunsicherte, gebrochene Mensch von heute dies als sehr fern sieht, ist doch Zwischenmenschlichkeit im eigenen Erleben noch in erster Linie von Angst, Erwartungen und Selbstwichtigkeit aller Beteiligten geprägt. Doch wer nur einen Menschen gefunden hat, dem er vertraut, hat schon den Keim in sich um zur vollen Liebe zur Menschheit aufzuwachen und in jedem Menschen einen der Eigenen und in jedem einen Lehrmeister zu sehen.

Ich weiß übrigens nicht, ob dieser Endzustand wirklich existiert, manchen die das von sich behaupten traue ich erst nach nem Drogentest. Mich jedenfalls kotzen manche Menschen einfach immernoch an, doch auch dabei handelt es sich um gelernte Gewohnheiten, sowohl Denkweisen, als auch Verhaltensweisen. Ein guter erster Schritt ist übrigens völlig richtig, Menschen wirklich anzugucken. Hilfreich ist auch das Verständnis, dass jeder Mensch ganz wesentlich die Summe seiner Lernprozesse ist, du selbst inbegriffen.

Apropos. Andere Drogen als Alokohol begünstigen auch sehr stark das Triggern des Belohnungssystems, solange ihre Wirkung hält.

Was haben wir bis hierhin gelernt?

Das Gehirn ist ausschließlich ein lernendes System und funktioniert gar nicht so magisch. Wir können die häufige Beanspruchung des Belohnungssystems bewusst lernen. Das führt zu höherer Zufriedenheit.

Eine Frage die von hier aus leicht zu beantworten wäre: Wieso bringt mehr Zufriedenheit mehr Selbstwertgefühl, wobei die Frage über den Umweg "wieso bringt mehr Zufriedenheit ein "erfolgreicheres" bzw. erfüllteres Leben" beantwortet würde. Oder: Wie ist die Annahme motiviert, dass wir bewusst und vorsätzlich Gewohnheiten lernen können?

Eine andere schöne Frage ist sicherlich, wo bleibt dabei überhaupt das subjektive Erleben, das Bewusstsein und die Persönlichkeit. Und was hat es mit der provokativen Introaussage auf sich.

----

Schöne Veranschaulichungen zu dem Thema, wohlgemerkt keine Quellen, finden sich in den Texten und Aussagen von Vilayanur Ramachandran (TED-Talks in der Du-Röhre) und in manchen Texten und Vorträgen von Manfred Spitzer, der allerdings eine etwas anstregende politische Agenda damit verbindet oder in dem etwas abgedrehten God Is In The Neurons, ebenfalls auf yt.

bearbeitet von Aplysia

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Du hast dir sichtlich Mühe gegeben.

Ich find es sehr gut, dass auch mal der neurologische Aspekt betrachtet wird und nicht nur von Pseudowissenschaften wie NLP gefaselt wird.

Ich versuche daher ein paar Dinge aufzuzeigen, wo ich nicht deiner Meinung bin, vielleicht kannst du darüber ja nochmal nachdenken und es ggf. verbessern.

Du könntest deinen Text noch weiter aufpeppen, wenn du ihn gliederst und Bilder hinzufügst. Kaum jemand kann sich unter einem neuronalem Netz oder der Gewichtung an den Synapsen was vorstellen - ein kleines Bild würde jeweils reichen um das ganze zu erklären.

Allerdings stimmen manche Dinge schlicht und ergreifend nicht:

Was bitte soll affenartiges Verhalten sein? Alle Säugetiere besitzen unsere Hirnstrukturen, also auch das Großhirn. Natürlich ist das Großhirn beim Menschen sehr groß im Vergleich mit einer Spitzmaus - ändert aber nichts daran dass beide diese Hirnstruktur besitzen.

Das Gehirn ist eben nicht nur eine Lernmaschine. Sehr viele Dinge werden vererbt, und das kannst du auch nur sehr schwer mit Lernen überschreiben. Einfaches Beispiel: Aus einer ängstlichen Person wird nie eine komplett mutige Person, und umgekehrt.

Dies liegt im Falle übergroßer Angst mit großer Wahrscheinlichkeit daran, dass das Großhirn (Bewusstsein) zu wenig auf die Amygdala (Angstzentrum) zurückwirken kann. Und das liegt wiederum daran, dass beim Serotoninsystem irgendwas nicht richtig funktioniert (z.B. werden die Serotonin Neurotransmitter zu schnell wieder aus dem synaptischen Spalt entfernt).

Extremere Beispiele sind Schizophrenie oder Epilepsie. Wenn man wirklich das Gehirn durch lernen umbauen könnte, könnte man diese Krankheiten abtrainieren.

Aber einen gewissen Spielraum hat man natürlich (als gesunde Person), den soll man ausnutzen, und genau dieser ist auf Lernen zurückzuführen.

Du beschränkst dich viel zu sehr auf das Belohnungssystem. Dies ist ein vergleichsweise kleines System im Gehirn. Ein viel größeres System ist die Amygdala, welche unter anderem fürs Furchtlernen zuständig ist. Sehr viele Entscheidungen sind von der Angst geprägt, auch wenn man das nicht wahrhaben will.

Konditionierte Ängste bleiben auf ewig in der Amygdala gespeichert, ähnlich wie man gelernte Bewegungsabläufe kaum vergisst. Angst verlernen geht also nur durch das Großhirn, welches in der Angstsituation dann die Amygdala dämpft.

Ich kann jetzt noch viele weitere wichtige Systeme aufzählen. Und das Belohnungssystem ist definitiv wichtig. Aber wer das Gehrin mehr oder weniger auf das Belohnungssystem reduziert, wird sich schwer tun viele Verhaltensweisen damit erklären zu können.

Und noch was zum Belohnungssystem. Dieses ist nicht dafür "erfunden" worden, um uns ständig glücklich zu machen. Es reagiert auf Unterschiede zum Erwarteten. Geh ich ins Zimmer und finde ein Stück Schokolade am Schreibtisch liegen (z.B. als Geschenk von der Freundin), so springt das System an, um mir zu zeigen dass die Situation besser als erwartet ist. Liegt hingegen jedes Mal ein Stück Schokolade an der Stelle im Zimmer, so wird das Belohnungssystem immer schwächer darauf reagieren. Wenn man also wirklich Freude erleben will, muss man auch Niederlagen in Kauf nehmen, sich in neue Gefilde trauen, dann sind einem Glücksmomente garantiert.

In diversen "Selbsthilfebüchern" wird einem versprochen, vom totunglücklichen Menschen zum absolut zufriedenen Menschen werden zu können.

Auch hier sagt die Wissenschaft was anderes. Langzeitstudien haben gezeigt, dass das Glücksempfinden bei Menschen ziemlich konstant ist. Auf einer Skala von 1-10 kann man eventuell einen Punkt rauf (z.B. zuerst Single, dann in Beziehung) oder einen Punkt runter rutschen (z.B. Tod des Partners). Nie wird man aber von einer 1 zu einer 10 springen können.

Bin jetzt zu müde zum Weiterschreiben. Rechtschreibfehler korrigiere ich ein anderes Mal.

Gute Nacht und ein schönes Weihnachtsfest!!

P.S.: Gib bitte die Quellen an, woher du das hier aufgeschriebene Wissen her hast. Muss ja nicht so exakt wie auf der Uni sein, aber ganz ohne Quellenangaben läuten bei mir immer gleich die Alarmglocken, weil ich nicht weiß woher mein Gegenüber das Wissen her hat - im schlimmsten Falle kann es ja nur eine Wiedergabe dessen sein, was man auf youtube so findet...

bearbeitet von b000b

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It is very difficult to imagine all the crazy things, that things really are like.

Hey.

Ich bin der Community hier sehr dankbar, ihre Inhalte haben meine Hinwendung zu einem Thema, welches mich mit leidenschaftlichem Interesse erfüllt begleitet und ihr Erfahrungsschatz hat in meiner sozialen Entwicklung sehr geholfen.

Im Moment ist es ein bisschen in im Forum, dass hier jeder zweite sein Manifest im PD-Bereich verfasst.

Erst dacht ich so voll scheiße und jetzt stell einen etwas aufgearbeiteten Verarbeitungstext von mir selbst zum Thema "philosophische Schlußfolgerungen aus dem was ich über Neurologie gelernt habe" rein. Tja. Es geht erstmal nur um wenig, ich wollte euch auch nicht direkt die volle Dröhnung Neurostuff geben.

Apologies an alle die bei meinem Schreibstil nicht durchsteigen und in der Hoffnung, dass der ein oder andere diese Art an das Thema heranzugehen interessant findet.

Merry Christmas folks.

--------

Leider muss ich mit einer Aussage anfangen, die ich im gegebenen Rahmen nicht großartig weiter motiviere, was weniger schlimm wäre, wenn sie nicht so erschreckend nach Evolutionspsychologie miefen würde. Sie lässt sich aber, soviel sei gesagt, sowohl philosophisch (Stichwort "Akrasia"), als auch neurobiologisch und neuropsychologisch gut motivieren, sogar ohne sonstige Teile der Psychologie zu rekrutieren:

Die höhere Kognition steuert nur sehr beschränkte Teile unseres Verhaltens.

Entschuldige, aber diese Aussage ist schon wissenschaftstheoretisch quasi nicht beantwortbar und sicher nicht so einfach geklärt

Das Bewusstsein, welches sich vor allem aus Prozessen in der Hirnrinde zusammensetzt, ist eine entwicklungsgeschichtliche junge Erscheinung und war auf evolutionär relevanten Zeitskalen kaum geeignet primärer oder gar alleiniger Selektionsvorteil zu sein.

Entwicklungsgeschichtlich jung ist weniger der Cortex an sich sondern seine (Prä)frontalen Areale. Primäres Bewusstsein hängt nach meinem Verständnis der aktuellen Literatur aber wahrscheinlich mit thalamocortikalen Schleifen und Synchronisation über 40 Hz Oszilationen zusammen. Auserdem hängt "evolutionär relevanter" Zeitraum sehr stark von der Stärke des Selektionsdruckes ab, ist also absolut keine feste Größe. Mal abgesehen davon, dass diese ganzen aus der Evolution abgeleiteten Theorien höchstens parawissenschaftlich sind.

Das heißt affen-artiges Verhalten war ebenso selektionsentscheidend. Zumal sich auch gezeigt hat, dass die Hirnrinde vor allem effizient arbeitet, wenn grundlegendere Prozesse im Gehirn gut laufen. Affen-artiges Verhalten bedeutet in dieser Situation Verhalten welches geeignet ist unser Belohnungssystem zu beanspruchen.[1]

Dies wiederum ist einfache Lerntheorie, kein Widerspruch, aber sei dir der (empirischen) Grenzen der Lerntheorie bewusst

Dies neben dem offensichtlichen Grund, dass es die Zufriedenheit steigert, auch da es für den Aufbau von sich in psychologisch als hohes Selbstwertgefühl ausdrückenden Gewohnheiten ganz grundlegend ist.

Selbstwertgefühl ist eher so ein psychologisches Metakonzept, da inzwischen völlig unscharf verwendet

Für uns bedeutet das zuerst die Arbeitsweise unseres Belohnungssystems zu verstehen, weil dies Grundlage für effiziente, bzw. vorteilige kognitive Prozesse ist, sowohl auf neuropsychologischer Ebene, durch die stärkere Beanspruchung des Arbeitsgedächtnis, wie auf neurochemischer Ebene durch Dopaminausschüttung in den Hirnrindengegenden.

Jetzt gehts aber ein bisschen durcheinander, dopaminerges Belohnungssystem läuft v.a. über das ventrale Striatum, das hat mit Arbeitsgedächtnis erstmal nichts zu tun

[1] Nicht weil "der Affe in uns hedonistisch ist", sowas ist Stammtischniveau. Das "Belohnungsgefühl" ist nur unsere subjektive Erfahrung der Aktivität des Belohnungssystems, eigentlich ist es eine Langstreckenverknüpfungsinstanz und dient somit auch dem Auslösen von Prozessen, die evolutiv erfolgreiche Verhaltensweisen miteinander in Beziehung setzen.

Das Gehirn ist ein lernendes Netzwerk.

Wir neigen dazu uns das Gehirn "metaphorisch" als Computer vorzustellen.

Ich hoffe nicht, dass das heute noch jemand ernsthaft tut, ist doch schon seit den 80ern auf dem Weg nach unten...

Das verwischt den Blick dafür, dass das Gehirn ganz fundamentale Unterschiede zu prozedural arbeitenden Computern hat: Es arbeitet parallel, es speichert Information in der Struktur des Netzwerks selbst, nicht in Speicherzentren und es verändert somit seine Hardware selbst.

PDP, ja, aber das ist so als All-Aussage auch nicht völlig korrekt, vgl. z.B. sensible Phasen. Außerdem gehst du in deinen Schlussfolgerungen daraus im Verlauf des Textes für mich way zu weit, pdp bezieht sich auf eine extrem niedrige, parasymbolistische Analyseebene, daraus Aussagen über unser Erleben und Verhalten abzuleiten ist bestenfalls gewagt.

Der erste Punkt ist leicht mit einer kleinen Rechnung erklärt: Wenn wir annehmen, dass wir einen Menschen in etwa 0,1 Sekunde erkennen können (wenn er uns gut bekannt ist, oder so) und die Weiterreichung eines Signals am Neuron eine Tausendstelsekunde dauert, können zwischen Eingang des Reizes und dem Erkennen nur 100 sequentielle Verrechnungsschritte liegen - weil es aber parallel arbeitet sind in diesen hundert Schritten bis zu mehreren Millionen einzelne Verrechnungen gewesen. Das sind gewaltige Mengen an Prozessen, die auf diese Weise sehr schnell bearbeitet werden können.

Was bedeutet es aber, dass das Gehirn in der Struktur des Netzwerkes selbst speichert? Neuronen können nur 1/0-Signale an andere Neuronen aussenden, effektiv mehr machen die erstmal nicht. Diese Signale kommen bei allen angeschlossenen Neuronen, das können so bis zu 10000 sein, an. Die Signale werden an den Verbindungen gewichtet (! das ist wichtig) und alle an einem Neuron ankommenden Einsen mit Gewichtung (also Gewichtung mal Eins) müssen nun einen vom Neuron abhängigen Schwellwert auslösen, dann feuert das angesteuerte Neuron.

Information speichert das Gehirn nun ausschließlich, in dem es die Gewichtungen an den Verbindungen/Synapsen verstärkt oder abschwächt, Schwellwerte also schneller oder langsamer erreicht werden, und indem Neuronen neue Synapsen zwischeneinander ausbilden - das ist aber der sekundäre Effekt, denn er wird auch durch die Veränderung der Gewichtung ausgelöst. (Das hat biologische/elektrochemische Gründe.)

Die Frage jetzt, wann verändern sich denn die Gewichtungen an den Synapsen. Immer dann, wenn Verbindungen häufig angesprochen wurden. Je öfter wir etwas tun, desto besser lernen wir es. Mensch, was für eine bahnbrechende Erkenntnis!

Hebbsche Lernregel. Ich persönlich finde ja Modellierungen über kohonen-layers überzeugend, da hast du non-supervised learning das trotzdem organisierend stattfindet

Aber hier kommt der Kicker: Alles was ein Mensch tut, also auch sein Denken und seine Verbindung von Inhalten mit Emotionen, was wir also im Wesentlichen unter Persönlichkeit zusammenfassen, ist in Schaltkreisen im Gehirn gespeichert, die sich stärker vernetzen je öfter sie gemeinsam arbeiten. Auch dies ist freilich für viele schon bekannt, ist doch eine wenig radikale Schlußfolgerung daraus schon lange zum Inhalt von Verhaltenstherapien, New-Age-Bewegung und Selbsthilfebüchern geworden.

Ich muss hier nicht wirklich Materialismus widerlegen, oder?! Kategorienfehler!!

Die provokative und in dieser Absolutheit freilich maßlos übertriebene aber in ihrer Radikalität richtige Schlussfolgerung ist hier: Nichts, wirklich nichts ist auf Dauer festgeschrieben. Wir sind, zu jedem Zeitpunkt in unserem Leben, die Summe unserer Lernprozesse, das heißt der Ausdruck unserer daraus resultierenden aktuellen Gewohnheiten.

Walden Two? ;-)

Kommen wir jetzt zum Belohnungssystem zurück, ist die Schlußfolgerung sehr einfach: Wir können lernen, Gewohnheiten zu haben, die unser Belohnungssystem ansprechen. Operantes Konditionieren, du solltest (wenn du schon keine Attributionsprozesse berücksichtigst) wenigstens kurz auf (Langzeit-)habituation eingehen.

Was wäre das? Ein paar Beispiele:

Aufmerksam für Sinneseindrücke sein: Das bewusste Wahrnehmen von Sinneseindrücken führt mit großer Regelmäßigkeit zu Ereignissen, die das Belohnungssystem ansprechen. Oder praktischer: Wenn ich bewusst um mich sehe, sehe ich viel Scheiße, aber auch immer wieder Schönes. Was dabei übrigens ein netter Effekt ist, ist dass bestenfalls eine Handvoll dieser schönen Eindrücke langfristig gespeichert wird und man auch jeden Morgen immer wieder die Schönheit auf dem immergleichen Weg zur Arbeit sehen kann. Habituation

Sinnliche Erfahrungen machen: Wer mal in seiner eigenen kleinen Butze gelebt hat, kennt sicherlich den Unmut über den zu machenden Abwasch, aber auch die Befriedigung ihn gemacht zu haben, vor dem Werk der eigenen Klauen zu stehen und die Sauberkeit zu bewundern.

Eine vergleichbare Befriedigung hat das Drücken auf den Knopf der Spülmaschine nicht. Wir lernen jetzt lieber nicht die Technik und Zivilisation komplett abzulehnen, aber dass es gut ist, einfach öfter mal Kram zu machen: Nüsse knacken, kauen, irgendetwas tragen, Obst schnippeln, Sport, Jonglieren, Abspülen, völlig egal eigentlich.

Es ist offensichtlich evolutionär sinnvoll, das Nachgehen von in nicht-technisierten Lebensumständen (also im Prinzip bis vor höchstens 10.000 Jahren) lebenserhaltenden Verhaltensweisen neurochemisch zu belohnen.

Kommt mir ziemlich unplausibel vor, Quelle? Außerdem: Findest du es nicht ironisch vorhin noch die absolute Plastizität unseres ZNS zu betonen und jetzt solche Aussagen zu tätigen? :-)

Amüsanterweise steigern solche Sachen insbesondere die Zufriedenheit, nicht unbedingt die Fähigkeit zur Freude. In Selbsthilfebüchern äußert sich diese Einsicht häufig in Appellen daran, die kleinen Dinge zu genießen, aufmerksam möglichst viele Momente zu leben.

Soziales: Soziale Interaktion triggert ganz massiv unser Belohnungssystem. Und auch das ist gut so: Weil wir so von jedem etwas lernen können. Es lohnt sich quasi Menschen kennenzulernen, Menschen einen kennenlernen zu lassen. Die moderne Ästhetik zelebriert die große Einsamkeit als letze Wahrheit der menschlichen Existenz, man denke bloß an diesen Film, Melancholia.

Die letzte Wahrheit menschlicher Existenz ist wohl viel eher, dass unser Gehirn und die Teile die wir davon mitbekommen, in aller erster Linie für die Zwischenmenschlichkeit optimiert sind, das wir gar solche beeindruckenden Dinge wie Spiegelneuronen hervorgebracht haben, somit sogar auf physikalischer Ebene mit jedem Menschen dem wir begegnen, ein bisschen verbunden sind.

Kategorienfehler, Hume-sches Gesetz. Und, Spiegelneuronen, ach... Aber das ist eine andere Diskussion.

Ich weiß, dass grade der verunsicherte, gebrochene Mensch von heute dies als sehr fern sieht, ist doch Zwischenmenschlichkeit im eigenen Erleben noch in erster Linie von Angst, Erwartungen und Selbstwichtigkeit aller Beteiligten geprägt. Doch wer nur einen Menschen gefunden hat, dem er vertraut, hat schon den Keim in sich um zur vollen Liebe zur Menschheit aufzuwachen und in jedem Menschen einen der Eigenen und in jedem einen Lehrmeister zu sehen.

Ich weiß übrigens nicht, ob dieser Endzustand wirklich existiert, manchen die das von sich behaupten traue ich erst nach nem Drogentest. Mich jedenfalls kotzen manche Menschen einfach immernoch an, doch auch dabei handelt es sich um gelernte Gewohnheiten, sowohl Denkweisen, als auch Verhaltensweisen. Ein guter erster Schritt ist übrigens völlig richtig, Menschen wirklich anzugucken. Hilfreich ist auch das Verständnis, dass jeder Mensch ganz wesentlich die Summe seiner Lernprozesse ist, du selbst inbegriffen.

Zu eins: Starke Zustimmung, zu zwei: Njaaaaa...

Apropos. Andere Drogen als Alokohol begünstigen auch sehr stark das Triggern des Belohnungssystems, solange ihre Wirkung hält.

Was haben wir bis hierhin gelernt?

Das Gehirn ist ausschließlich ein lernendes System und funktioniert gar nicht so magisch. Wir können die häufige Beanspruchung des Belohnungssystems bewusst lernen. Das führt zu höherer Zufriedenheit. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Lebenszufriedenheit nicht mit objektiven Indikatoren wie "glücklichen" Erfahrungen korreliert.

Eine Frage die von hier aus leicht zu beantworten wäre: Wieso bringt mehr Zufriedenheit mehr Selbstwertgefühl, wobei die Frage über den Umweg "wieso bringt mehr Zufriedenheit ein "erfolgreicheres" bzw. erfüllteres Leben" beantwortet würde. Oder: Wie ist die Annahme motiviert, dass wir bewusst und vorsätzlich Gewohnheiten lernen können? Ich würde eher sagen, dass selbstgesteuerte Entwicklung meine Selbstwirksamkeitserwartung steigert... Was noch mal was anderes ist als Selbstwertgefühl.

Eine andere schöne Frage ist sicherlich, wo bleibt dabei überhaupt das subjektive Erleben, das Bewusstsein und die Persönlichkeit. Und was hat es mit der provokativen Introaussage auf sich.

----

Schöne Veranschaulichungen zu dem Thema, wohlgemerkt keine Quellen, finden sich in den Texten und Aussagen von Vilayanur Ramachandran (TED-Talks in der Du-Röhre) und in manchen Texten und Vorträgen von Manfred Spitzer, der allerdings eine etwas anstregende politische Agenda damit verbindet oder in dem etwas abgedrehten God Is In The Neurons, ebenfalls auf yt.

Ein schöner Text, hebt das Niveau im Forum... Und bei aller Kritik finde ich es toll, dass du dir die undankbare Mühe gemacht hast eine komplexe Thematik auf einem allgemeinverständlichen Niveau zu diskutieren, sicherlich in Bewusstsein der sich automatisch ergebenden Problemen

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Ich will jetzt hier keine großartige Diskussion aufmachen, darum habe ich immer wieder Teile ausgelassen.

Also, der erste Beitrag in aller Kürze:

Was bitte soll affenartiges Verhalten sein? Alle Säugetiere besitzen unsere Hirnstrukturen, also auch das Großhirn. Natürlich ist das Großhirn beim Menschen sehr groß im Vergleich mit einer Spitzmaus - ändert aber nichts daran dass beide diese Hirnstruktur besitzen.

Jup. Die Hirnrinde ist nur ein kleiner Teil und entwicklungsgeschichtlich junger unseres zentralen Nervensystems und Phänomene wie Cortex-Blindheit demonstrieren uns die eingeschränkte Relevanz der Rinde für das menschliche Verhalten. Du findest die Hirnrinde in der Tat bei quasi allen Säugern, dennoch gibt es ganz offensichtliche Unterschiede in der Funktionalität und im Organisierungsgrad.

Das Gehirn ist eben nicht nur eine Lernmaschine. Sehr viele Dinge werden vererbt, und das kannst du auch nur sehr schwer mit Lernen überschreiben.

Effekte die auf Vererbungsebene möglich sind, sind zum Beispiel Störungen in der Synthese der NMDA-Rezeptoren (Hippocampus only usw. - im Zweifelsfall die Analoga), die je nach Ort und Stärke leicht zu bestimmten Erlebensveranlagungen führen kann, auch die schiere Zahl der Neuronen in einem Areal mag abhängig vom Gen-Code sein - der Mechanismus des Netzwerkes allerdings in keiner Weise.

Zu deinem Beispiel mit der Angst, weil das eigentlich ein sehr gutes ist: Eine ängstliche Person könnte jetzt z.B. eine Überempfindlichkeit der Amygdala insofern haben, als das die Assoziationsketten im Fall bewusster Ängste von der Rinde in die Amygdala sehr kurz sind. Dieser Zustand ist im Prinzip reversibel, solange die Netzwerke plastisch sind. Deine Anmerkung zum Serotonin-System in diesem Zusammenhang ist eher etwas irreführend, eine Störung wie du sie beschreibst äußert sich in depressiven Symptomen, je nachdem wo sie auftritt.

Man kann schwere psychische Erkrankungen tatsächlich "abtrainieren", genau das tun Verhaltenstherapien. Natürlich dauert es manchmal Jahre, Jahrzehnte, oder ewig bis solche Störungen vollständig behoben sind. Epilepsie ist hier leider ein sehr schlechtes Beispiel.

Das Belohnungssystem ist natürlich wirklich nur ein kleiner Teil, war nunmal aber Thema des Artikels. ;)

Du hast recht mit der Anmerkung, dass das Belohnungssystem vor allem in "besser-als-erwartet"-Sitationen arbeitet. Das betrifft aber vor allem Unterschiede in der Stärke der Aktivierung, nicht die qualitative Dimension: Die meiste Zeit tun wir als Menschen in unserer Gesellschaft wenig bis gar nichts, was überhaupt geeignet ist, unser Belohnungssystem zu aktivieren.

Was diese Studien wirklich herausgefunden haben, ist dass die Menschen es nicht schaffen glücklich zu werden - nicht, dass es nicht geht. Vorsicht vor den Tücken der Psychologie.

Im Rahmen meines Studiums befasse ich mich mit Neuropsychologie, - biologie, aber eigentlich vor allem der Theorie neuronaler Netze, damit zusammenhängend mit Prozessen der Selbstorganisation.

zum zweiten:

Entschuldige, aber diese Aussage ist schon wissenschaftstheoretisch quasi nicht beantwortbar und sicher nicht so einfach geklärt

An der Aussage entfacht sich sehr schnell und zuverlässig ein Glaubensstreit, da hast du Recht. Die Wissenschaftstheoretiker mag ich im Bereich der Naturwissenschaft, solange sie selber nicht Naturwissenschaftler sind, eigentlich nur ungern mitreden lassen.

Thalamocortikale Schleifen beanspruchen immernoch den Cortex und die Verortung von bewusstseinsbildenden Prozessen darin schmälert also nicht die primäre Relevanz des Cortex für die Möglichkeit der Entstehung "höherer" Kognition. Oder mache ich da einen Denkfehler?

Bzgl. des Selektionsdruckes hast du recht, evolutionär relevante Zeiträume sind aber natürlich auch keine absolut flexiblen Größen. Du hast recht was die Problematik mit der Argumentation mittels der Evolution angeht, allerdings kommt man um den ein oder anderen Gedanken darum nicht herum, wenn die Frage im Raum steht, was "menschliches Bewusstsein" überhaupt leisten kann.

Ich bin mit der empirischen Grenzen bewusst, aber auch dem Potenzial was im Verständnis der Physik und Mathematik neuronaler Netze und Selbstorganisationsprozesse schlummert - wir haben es hier immerhin mit makroskopischen, deterministischen Systemen zu tun.

Meinen Materialismus hast du ja schon herausgestellt. Wenn du ihn widerlegen willst - glückauf. In jedem Fall, Respekt vor der Schärfe deines Blickes.

Ich halte es nicht grundsätzlich für einen Kategorienfehler aus naturwissenschaftlichen Erkenntnissen die Philosophie zu speisen.

Selbstwertgefühl ist eher so ein psychologisches Metakonzept, da inzwischen völlig unscharf verwendet

Seh ich ein, ich denke allerdings, dass hier eine großartige "Naturwissenschaftlichkeit" fehl am Platze ist: Gewohnheiten die sich in Summe als etwas ausdrücken, was als hohes Selbstwertgefühl wahrgenommen wird, ist für die Sache verständlich oder?

zum dopaminergen System:

Es spricht auch den präfrontalen Cortex an, wo meines Wissens die Psychologen u.a. Arbeitsgedächtnisprozesse verortet haben. Über solche Prozesse wird ADS beschrieben. Ist das veraltet?

Ich habe ziemlich fahrlässig Belohnungssystem und dopaminerges System synonym verwendet, das irritiert wahrscheinlich.

Ich hoffe nicht, dass das heute noch jemand ernsthaft tut, ist doch schon seit den 80ern auf dem Weg nach unten...

Hast du ne Ahnung. ;) Du musst hier auch sehen, dass die Pop-Wissenschaft der Wissenschaft weit hinterherhinkt - obwohl sie doch so unglaublich viel wichtiger ist.

zu sensiblen Phasen:

Hier muss ich leider sagen, dass ich nicht verstehe. Sensible Phasen sind mir aus der Neuropsychologie als Begriff für Phasen überstarker Plastizität, überhaupt gegebener nennenswerter Plastizität oder vergleichbaren Lernmechanismen bekannt - den Zusammenhang mit paralleler Datenverarbeitung sehe ich da nicht.

Hinsichtlich der Relevanz der PDP - schon die grundsätzliche Struktur der Neuronen macht eine andere Arbeitsweise unmöglich.

Einschätzungen über Erleben und Verhalten wollte ich daraus gar nicht ableiten, im Wesentlichen ging es mir um die Betonung des Datenvolumens und die

grundsätzliche Arbeitsweise neuronaler Netze.

Alles was über Hebb hinausgeht war hier wirklich unnötig kompliziert. Die schiere Geilheit der tatsächlichen Programmierung interessiert dann am Ende doch keinen. ;)

Habituation

Genau ihr Ausbleiben und die Arbeitsweise der Gedächtnisbildung machen hier den Trick aus. (bzgl. Arbeitsweg)

Gibt mehrere Gründe, weshalb ich nicht finde, dass die Habituation hier notwendig dargestellt werden muss.

die folgenden Anmerkungen:

Du hast bspw. in Verhaltenstherapien festgestellt, dass die Behandlungserfolge langjähriger Therapien nicht nennenswert von den Erfolgen durch regelmäßige sportliche Betätigung abweichen.

Im Weiteren ergibt sich die Argumentation viel aus der Prämisse vom Anfang, die du zu recht in Frage stellst. Die Ironie entfleucht mir glaub ich, es lässt sich ja schlecht leugnen, dass das Gehirn durchaus relativ fix funktional gegliedert ist.

Cool Leute, ich fands dufte, dass ihr euch dazu geäußert habt.

Ich finde auch die Diskussionen wirklich spannend und ich hoffe ihr nehmt es mir nicht als allzu üblen Stil, dass ich erst darauf antworte und dann folgendes schreibe: Lasst das bitte nicht in eine wahnsinnige Diskussion über Sachthemen ausarten. Mein Anspruch kann und war nicht, Vollständigkeit und Fehlerfreiheit. Grade du Pontius hast offensichtlich in weiten Teilen mehr Peilung als ich.

Die grundsätzliche Thematik, die Frage wie Aspekte der Persönlichkeitsentwicklung grundsätzlich fundiert werden können, kannst du sicherlich bereichern.

bearbeitet von Aplysia

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Hallo,

kurz noch ein paar Worte zur Antwort:

Soweit mir bekannt ist kann man schwere psychische Erkrankungen nicht einfach "verlernen". Gerade weil es sich dabei ja um wirklich schwere Fehler in der "Hardware" handelt. Schitzophränie kann man meines Wissens nur mit Medikamenten in den Griff bekommen, genauso wie eine schwere Depression. Bin aber kein Psychologe und kenne mich da auch nicht so aus bei den Krankheiten.

Übrigens ist das Serotoninsystem sogar sehr wichtig in Sachen Angst.

Ich komme von der technischen Seite und habe das Thema vor allem über künstliche neuronale Netze kennengelernt (zum Mustererkennen bzw. künstliche Intelligenz). Mit dem biologischen Vorbild habe ich mich interessehalber in der Freizeit beschäftigt.

Was man aus den technischen, künstlichen neuronalen Netzen mitnehmen kann, ist, dass sich neuronale Netze immer dann "verbiegen", wenn neue, ungewohnte Inputs durch das neuronale Netz laufen.

Und diese Beobachtung kann man auch ins echte Leben mitnehmen.

Wenn man sich ändern möchte, so sollte man versuchen, auch seine Umgebung zu ändern.

Das kann ich aus meinem Leben bestätigen. Die größen Persönlichkeitsänderungen hatte ich immer dann, als ich umgezogen bin (Militär, Studium) oder einen neuen Job angefangen habe.

Und noch eine interessante Beobachtung kann man aus der Technik übernehmen. Neuronale Netze "verbiegen" sich meist nur bis zum nächstgelegenen Fehlermininum. Das Netz wurde über Jahre aufgebaut, nur weil jetzt neue Inputs kommen, baut es sich nicht komplett um. Es versucht sich soweit umzubauen, dass es die Aufgabe möglichst fehlerfrei lösen kann, es baut sich aber fast nie soweit um bis es das Optimum erreicht. Hat man das Netz also lange auf Aufgabe A gelernt, und will es dann plötzlich auf Aufgabe B lernen, so ist es nicht so einfach als wenn man ein "frisches" Netz gleich auf Aufgabe B lernt. Die Vorgeschichte ist also sehr wichtig bei neuronalen Netzen.

Und genau das ist mein Kritikpunkt bei diesen Selbsthilfebüchern, die behaupten, dank synaptischer Plastizität kann man sein Gehirn so umformen wie man will. Das ist eben nicht der Fall.

Bsp.: Wenn man introvertiert ist, und nun anfängt viele Vorträge zu halten, so werden klarerweise Umbauarbeiten im Gehirn beginnen. Man wird weniger nervös sein je öfter dass man es macht, man wird fehlerfreier sprechen können, usw...

Vielleicht hat es auch Auswirkungen auf das sonstige Sozialleben. Aber trotzdem wird aus einer Person, die eher die Ruhe gern hat und in sich gekehrt ist kein Dieter Bohlen.

Würde die Theorie der pseudowissenschaftlichen Bücher stimmen, so wäre das aber kein Problem: Es müsste nur das Netz entsprechend angepasst werden. Das ist aber nicht der Fall, das Netz wird nur so wenig wie möglich angepasst, bis das Gehrin die gestellte Aufgabe entsprechend, also mit möglichst wenig Fehlern, erfüllen kann.

bearbeitet von b000b

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Danke für deine Anmerkungen. Nein, ich nehme es nicht als schlechten Stil war und wir können die Diskussion an der Stelle auch gerne beenden. Ich möchte nur eben zwei Sachen, die ich wohl missverständlich ausgedrückt habe, präzisieren:

1. Sensible Phase (ich verstehe exakt das gleiche darunter wie du) ist sicher kein Gegenargument für pdp, es bezog sich nur auf die von dir herausgestellte Plastitität, es war mir einfach zu weit formuliert. Und, wieder, mir sind Ziele und Grenzen eines solchen Posts bewusst, man kann aber nun mal schlecht aus seiner Haut...

2. Materialismus/"Kategorienfehler": Ich bin sicher nicht für eine strikte Trennung zwischen Philosophie und Naturwissenschaft, ganz im Gegenteil, gerade der integrierende Blick ist unglaublich aufschlussreich. Aber ich glaube, dass man sehr differenziert darin sein sollte zu betrachten, was die Daten wirklich aussagen und was nicht. Der "Kategorienfehler" war eine etwas lapidare Anspielung auf das Hume-sche Gesetz (man kann keine normativen Schlüsse aus nicht normativen Sachverhalten ziehen; darauf aufbauend mag es ein ähnliches Leibnitz-Gesetz geben [der Begriff ist meine ich von Kutschera], dass aus physischem nichts nicht-physisches entstehen kann). Materialismus ist eine extrem starke These, the world is as physics say and there is no more to say about it, wie es Lewis formulierte.

Ich würde meine Position eher in der Nähe eines (naiven) Monetismus verordnen, also weder ist die Psychologie komplett auf die Neurologie zurück zu führen noch (in einem konstruktivistischen Sinne) umgekehrt: Es ist eher wahrscheinlich, dass Neurologie und Psychologie zwei nicht vollständig aufeinander reduzierbare Betrachtungsebenen auf ein- und dasselbe zugrunde liegende Phänomen sind; so wie Dinge ein Aussehen und Geruch und Klang und Wärme haben, alle diese DInge haben etwas miteinander zu tun, sie beschreiben dasselbe, aber sie sind nicht das gleiche. Insofern ist die explanatorische Lücke der kognitiven Neurowissenschaft wahrscheinlich paradigmatisch und nicht methodologisch. Zwei Standard-Argumente gegen einen computationalen Materialismus sind von Nagel (1974, wie es sich anfühlt eine Fledermaus zu sein) und Ned Block (2003, mental paint), vgl. außerdem das Mary-Argument.

Und, um noch was zum eigentlichen Thema des Threads beizutragen:

Wir haben einige Gründe dafür gehört, warum ein neuronales Umlernen möglich sein könnte, und schon erste Ideen dazu, wie. Ich führe diese Ideen mal weiter aus, basierend vor allem Schiepek, 2003, der die Voraussetzungen für eine konkrete neuronale Neuorganisation (hier im Rahmen von Therapie) beschreibt:

Neuronale Neuorganisation entsteht als Folge von Situationen, die folgende Charakteristika aufweisen:

--> Kompetenzgefühl, also der Aufbau von Selbstwirksamkeitserwartung. Der Klient setzt sich also Ziele und erreicht sie selbstständig im Verlauf der Therapie

--> Auslösung einer kognitiven Orientierungsreaktion, v.a. durch Konfrontation mit neuen, ungewohnten Anforderungen.

--> emotionale Aktivierung, also das Verfolgen eines als attraktiv erlebten Zieles das mit erheblichem emotionalem Aufruh einher geht

--> neuronale Neucodierung, über das Ausprobieren neuer Verhaltensweisen

--> positive limbische Markierung, also freudiges Erleben als Folge seines Tuns

--> Langzeitpotenzierung und schließlich Stärkung der synaptischen Verbindungen durch Wiederholung

Entwicklung basiert also nicht auf der Löschung negativer Netzwerke sondern auf dem Aufbau kompensatorischer neuer: "Posiitve Erfahrungen führen offenbar dazu, dass neue limbische Netzwerke angelegt werden, die in ihrem Zugriff zum Bewusstsein und zur Verhaltenssteuerung erfolgreich mit den negativen Netzwerken konkurrieren und sie überdecken können." (Roth, 2004)

Aus verschiedenen Gründen ist Handlung für Veränderung King, funktionales Verhalten primed und fördert funktionales Verhalten. Oder, um abschließend zur Philosophie zurück zu kehren: "Wir sind, was wir immer wieder tun. Eine hervorragende Leistung ist mithin keine einmalige Tat, sondern eine Gewohnheit" (Aristoteles)

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