Von der Wichtigkeit, sich selbst zu kennen.

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Guten Tag,

ich habe einen sehr guten Freund. Er ist einer der wichtigsten Freunde die ich habe. Das kann ich nicht über viele Personen sagen; Aber über ihn mit großer Bestimmtheit.

Verglichen mit meinen anderen wichtigen Freunden kenne ich ihn noch nicht sehr lange, erst seit etwa 4 Jahren, seit Beginn meines Studiums. Wir studieren beide Geschichte mit Schwerpunkt Zeitgeschichte.

In dieser Freundschaft gibt es eine Besonderheit: Es gibt bestimmte Themen, über die wir immer nur mit einem ganz speziellen Unterton reden. Ein sehr kompetitiver Unterton. Immer wenn wir über das Studium, über Frauen oder über unsere berufliche Zukunft sprechen, treten wir in eine Art Wettbewerb. „Wer hat mehr Bücher über ein Thema gelesen?“; „Wer hat die bessere Note in der Hausarbeit?“; „Wer hat mit der heißen Französin von letzter Clubnacht geknutscht?“; „Wer bekommt ein Praktikum und wo?“ Das sind die Themen der wichtigsten „Wettbewerbe“. Dieser Umstand wird von uns beiden so wahrgenommen, er wurde aber noch nie angesprochen.

Es gibt in dieser Freundschaft noch eine weitere Besonderheit: Aus den meisten dieser „Wettbewerbe“ geht mein Freund als „Sieger“ hervor. Er schreibt nicht nur die besseren Noten und küsst die meisten Frauen, er liest auch noch Bücher in einer Geschwindigkeit und mit einer Sorgfalt, die mir nicht viele Chancen lässt. Jedes Wort scheint er zu behalten und die Themen wesentlich tiefgründiger zu reflektieren. Prinzipiell alle wissenschaftlichen Tricks und Kniffe, die ich mir während des Studiums angeeignet habe, habe ich von ihm.

Viele werden nun zurecht anmerken, dass eine derartige Freundschaft doch unfassbar anstrengend sein muss, ja doch eigentlich gar nicht funktionieren kann, wenn alles ständig in ein gegenseitiges Messen ausartet. Und ihr habt recht. Oft haben mich diese Dinge belastet. Vor allem, wenn ich mir mal wieder eine „Niederlage“ eingestehen musste. Aber es war auch gleichzeitig ein Ansporn: Habe ich vorher täglich eine Stunde Zeitung gelesen, so las ich jetzt zwei. Habe ich vorher lieber einen Film abends geschaut, so griff ich nun lieber zu einem Buch zu einem historischen Thema, das mich immer schon interessierte. Auf diese Art habe ich gelernt mich für mein Studium auf eine Art und Weise zu begeistern, die mir ohne seine Bekanntschaft sicher nicht vergönnt gewesen wäre.

Doch um diese Dynamik in unserer Beziehung so zu akzeptieren und mich nicht davon runterziehen zu lassen bedurfte es eines wichtigen Schrittes, der mich viel Zeit gekostet hat: Ich musste erkennen, dass wir beide völlig unterschiedliche Typen sind.

Das möchte ich erklären. Ich habe nicht viel Erfolg bei Frauen im sexuellen Sinne (was allerdings ein anderes Thema ist), aber ich bin dennoch ein absolut sozialer Mensch. Mich kostet es keine Überwindung in einem mir völlig fremden Personenkreis auf einen Menschen zuzugehen und ein Gespräch anzufangen. Ich habe einen wahnsinnig großen Bekanntenkreis und grüße praktisch jeden an der Uni, da schon irgendwann mal ein Gespräch stattgefunden hat. Das hat den Vorteil eines immensen Social Circle, aber auch den Nachteil vieler oberflächlicher Bekanntschaften, denen man ständig absagen muss, weil man längst verplant ist.

Es gibt sehr wenige Konstanten in meinem Leben. Sowohl was Freunde angeht (bis auf wenige wichtige, die mich mein ganzes Leben begleiten), als auch was Interessen und Hobbys angeht. Zwar ist der Sport eine wesentliche Konstante in diesem Leben, jedoch habe ich bereits so viele Sportarten angefangen und wieder aufgehört, dass es sich gar nicht lohnt zu zählen. Man könnte sagen ich bin ein „Halb-Mensch“: Von allem schonmal gehört und auch mal ausprobiert, aber von nichts wirklich eine Ahnung. Probleme löse ich meist sehr spontan und immer aus dem Bauch heraus. Selten mache ich mir darüber Sorgen, was in einem halben Jahr wohl sein wird. Ich lebe und genieße den Moment, das Jetzt. Mein Kleidungsstil ist willkürlich und selten mit Bedacht gewählt. Mein Zimmer ist ein einziges Chaos. Das war schon immer so und auch wenn es natürlich einige Nachteile mit sich bringt, so fühle ich mich doch wohl so wie ich bin. (Dabei sei bemerkt: ich bin mir – auch dank Pick Up – sehr bewusst über meine vielen Schwächen und versuche ständig an mir und meinem Auftreten zu arbeiten).

Nun zu meinem Freund, nennen wir ihn Klaus. Ich habe noch nie gesehen, dass er in der Uni einen mir fremden Menschen grüßt. Der Situation in einer Gruppe von völlig unbekannten Menschen Anschluss zu finden, würde er sich vermutlich nie aussetzen. Natürlich hat er, genau wie ich, einige sehr wichtige und tiefe Freundschaften. Aber er ist niemand, dem es leicht fällt auf andere Menschen zuzugehen (es sei denn er hat gut getankt). In seinem Leben hat er genau zwei Sportarten verfolgt: Fußball und als das gesundheitlich nicht mehr möglich war Radsport, bis er auch das irgendwann aufgab. Heute macht er gar nichts mehr. Klaus würde es, im Gegensatz zu mir, auch nie passieren, dass er zuviel für einen Flug bezahlen muss, weil er erst auf den letzten Drücker bucht. Probleme löst er sehr analytisch und aus dem Kopf heraus. Klaus Kleidung sieht an ihm stets richtig und gut gewählt aus. In seinem Zimmer herrscht Ordnung.

Worauf will ich hinaus?

Klaus und ich haben zwei völlig unterschiedliche grundsätzliche Persönlichkeiten. Die Tatsache, dass er so gut in seinem Studium ist, liegt daran, dass es einfach sehr gut zu seiner Persönlichkeit passt. Es kostet ihn keine Anstrengung sich einen Nachmittag lang nur auf ein Thema zu konzentrieren. Er ist von Natur aus ein gründlicherer Mensch.

Von mir fordern diese Dinge mehr Überwindung. Ich bin schnell abgelenkt und brauche eine Zeit, um mich voll in eine Sache zu vertiefen. Das ist auch nicht schlimm, solange ich es nicht als Entschuldigung missbrauche. Es ist für dieses Studium einfach unabdingbar Tagelang in der Bibliothek zu verbringen. Fällt mir das schwer, so bedeutet das schlichtweg, dass ich es lernen muss. Mein sprunghafter Charakter befreit mich nicht von dieser Pflicht. Ich muss diese anderen Bereiche wesentlich stärker trainieren, während Klaus sich wahrscheinlich öfters in gesellschaftlich schwierige Situationen begeben muss, um im Umgang mit anderen Menschen mehr Sicherheit zu erlangen.

Was heißt das denn nun endlich für euch?

Schaut in den Spiegel. Welcher Typ Mensch seid ihr? Macht euch das ganz deutlich. Um euch selbst besser einzuschätzen könnte zum Beispiel dieses Analyseschema hilfreich sein:

http://www.pickupforum.de/index.php?showtopic=59106

Mein Vater nutzt es gerne in seinem Beruf, um seine Kunden besser beraten zu können.

Nun folgt der nächste Schritt. Macht euch bewusst, dass ihr diese Persönlichkeitsstruktur prinzipiell nicht ändern könnt. Mir wird es immer schwer fallen, mich auf eine Sache lange zu konzentrieren. In meinem Leben wird wahrscheinlich ständig eine größere Fluktuation herrschen. Umgekehrt wird es mir vermutlich nie schwerfallen, mich in neuen Situationen schnell zurecht zu finden. Das muss ich so annehmen, mir über die Vor- und Nachteile dieses Umstandes bewusst werden (sprich über die Stärken und Schwächen) und sie zu meinem Vorteil einsetzen. Beruflich gesprochen könnte das heißen, dass ich wahrscheinlich niemals in einem Archiv arbeiten werde, während das für Klaus gar nicht so abwegig ist. Aber warum nicht in eine journalistische Richtung gehen, in der man viel mit Menschen zu tun hat?

Nein, ändern kann man diese Eigenschaften nicht. Aber man kann sie erweitern. So wie ich gelernt habe konzentriert und lange mich einem Thema zu widmen, so kann jeder das lernen, was er für seinen beruflichen Werdegang oder auch einfach sein Privatleben gebrauchen kann. Das ist sogar eure Pflicht. Es wird euch immer mehr Mühe kosten, bestimmte Dinge zu erlernen, als andere, deren Persönlichkeit besser zu dieser Art von Aufgaben passt. Doch durch diese Selbsteinschätzung versteht ihr auch warum das so ist und ihr reibt euch nicht mehr im falschen Beruf, mit der falschen Freundin oder in anstrengenden „Wettbewerben“ mit euren besten Freunden auf...

bearbeitet von Keyser Soze
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ich weiß garnicht warum dieser thread 2 jahre lang unbeachtet bliebt

mir hat er geholfen. "akzeptiere zuerst dich selbst" usw. hört man zwar, grade in diesen Forum, öfter, aber dieses augenöffnende aha-erlebniss kam mir erst jetzt.

danke :good:

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