Toxic Shame & Toxic Guilt

9 Beiträge in diesem Thema

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Gast D_perfect

Das erste mal bin ich beim Lesen von Robert Glover's "No more Mister Nice Guy" auf den Begriff des giftigen Schamgefühls gestoßen. Daraufhin hab ich mir "Healing the shame that binds you" von Jon Bradshaw gekauft und mich ausführlich damit beschäftigt. Dieser Beitrag ist eine ungeordnete und äußerst kurze Zusammenfassung beider Bücher, gemischt mit meinen persönlichen Beobachtungen. Google liefert erste, tiefere Einsichten und ich kann beide Bücher wärmstens empfehlen, auch wenn v.a. zweiteres harter Tobak ist! Da wir hier ein Männerforum sind, richtet sich dieser Beitrag v.a. an Männer und auch alle Beispiele, die ich nenne behandeln die männliche Perspektive. Frauen sind wahrscheinlich in vielerlei Hinsicht stärker betroffen als Männer. Soviel zu den Credits.

Was ist Toxic Shame?

Toxic Shame ist ein internalisiertes Schamgefühl, dass sich auf die komplette Persönlichkeit des Betroffenen bezieht und dazu führt, dass dieser sich von Grundauf selbst ablehnt. Ein Zustand permanenter Falschheit und Selbstablehnung ist die Folge. Man verbietet sich sein eigenes Leben, seine eigenen Wünsche und Sehnsüchte, weil diesen in der Kindheit nicht mit Fürsorge und Erfüllung begegnet wurde, sondern mit permanenter Beschämung. Beschämung ist eigentlich ein funktionielles Erziehungswerkzeug, um Kinder in die Gesellschaft zu integrieren. Lässt ein Kind in der Öffentlichkeit die Hose fallen, reagiert die Mutter beschämt und überträgt diese Scham durch Projektion auf ihr Kind. Kinder sind nicht in der Lage zwischen der Scham ihrer Mutter und ihrer eigenen Scham zu unterscheiden. Daher wird das Kind automatisch schlussfolgern, dass sein Verhalten Schuld an der Scham seiner Mutter ist. Im Extremfall bzw. wenn die Mutter nicht erklärend auf das Kind eingeht, schlussfolgert es ebenfalls, dass seine Genitalien irgendwie abstoßend sind und versteckt werden müssen. Die Schamregion ist geboren. Im Gegensatz zu dieser gängigen Erziehungspraxis, ist Toxic Shame fundamentaler. Durch permanente Scham- oder Schulderfahrungen lernt das Kind sich für sich selbst zu schämen.

Die Gründe für das Entstehen von giftigem Schamgefühl können vielfältig sein. Einige Beispiele sind folgende:

-Jede dritte Frau hat Mißbrauchserfahrungen. Unverarbeitet können diese Erfahrungen zu einem tiefen Männerhass und Übertragungen auf den eigenen Sohn führen. Daraufhin wird kindliche die Suche nach Nähe permanent abgewehrt, woraufhin der Sohn wiederrum schließt, dass er abstoßenswert ist. => Emotionale Vernachlässigung.

- Gewalt in der Familie. => Mißbrauch

-Verbale Schuldzuweisungen a la "Du hast Mami traurig gemacht" oder "Warum tust du Mami das immer wieder an", wenn der Sohn seine Eigenständigkeit beansprucht. => Schuldhaftigkeit der persönlichen Selbstentfaltung

-Alleinerziehende Mütter, die ihren kleinen starken Mann daheim als Partnerersatz benutzen und die kindlichen Bedürfnisse vernachlässigen. Der Sohn ist also für die Mutter da und wird alles tun, um sie glücklich zu machen. Ist sie es nicht, sieht er die Schuld in seinem Verhalten und beschuldigt sich selbst nicht gut genug zu sein.

Zusammenfassung:

Toxic Shame ist ein tief verwurzeltes Gefühl von Schuld und Scham und führt zur strukturellen Ablehnung bzw. Unterdrückung der eigenen Persönlichkeit. Man darf schlicht nicht sein, wie man ist.

Maskierung der eigenen Bedürfnisse - Das falsche Selbst

Im Erwachsenenalter bestehen bleibend, führt das giftige Schamgefühl zu Verzerrungen in der Auslebung der eigenen Wünsche und Triebe.

Die Unterdrückung der eigenen Persönlichkeit für zu einem falschen Selbst, dass stets darauf bedacht ist sein Abscheulichkeit und Schuldhaftigkeit zu unterdrücken. Das falsche Selbst wird alles versuchen um das richtige Selbst zu unterdrücken. Die Scham ist strukturell in der Persönlichkeit angelegt und der Kontakt zum authentischen Selbst nicht oder nur noch verkümmert möglich. Ausprägungen sind:

- Superachieving/ Perfektionismus.

- Isolation

- Süchte

- Kontrollierendes Verhalten seiner Umwelt gegenüber

- Hyper - Detailig, also zwanghafte Fokussierung auf Details, die eigentlich unwichtig sind

- Depressionen

- inneres Gefühl von Leere

- Unterwürfigkeit gegenüber Autoritätspersonen

- cholerisches Verhalten (Superkompensation angestauter Triebe)

- Zwangsneurosen

- diffuse Ängste (Soziale Phobie, Angst vor Nähe(!), eine nicht greifbare Angst davor entdeckt zu werden ohne zu wissen, was das eigentlich konkret bedeutet)

- emotionale Verzerrungen (Lachen, wenn man sauer ist; übertriebene Freundlichkeit bei eigentlich tiefer Ablehnung gegen eine Person)

- Minderwertigkeitskomplexe

Toxic Shame führt zu Selbstabwehr und Kompensationshandlungen, die nicht unserem authentischen Selbst entsprechen.

Das eigene Selbst ist eine permanente Bedrohnung, die auf jede erdenkliche Art abgewehrt werden muss.

Wege heraus

Kontakt mit den verlorenen und unterdrückten Anteilen der eigenen Persönlichkeit her zu stellen ist die Lösung.

Ein permanenter Prozess von Selbstreflektion in dem die eigenen Wünsche indentifiziert, die unterdrückten (teilweise kindlichen) Bedürfnisse freigelassen und gesunde Selbstliebe entwickelt werden kann ist nötig. Selbsthilfegruppen und Psychotherapie kann einen geschützten Rahmen bieten, in denen die als bedrohlich und ängstigend empfunden Persönlichkeitsanteile identifiziert und Schritt für Schritt integriert werden können. Der Prozess ist sehr individuell. Für weitere Anregungen empfehle ich die oben genannten Bücher.

Ich hoffe für euch war etwas dabei. Das Thema liegt mir seit einem halben Jahr auf dem Herzen und die Beschäftigung mit beiden Büchern brachten einige heftiger Eye Opener für mich. Dieser zugegeben knappe Beitrag bietet hoffentlich für den ein oder anderen einen Einstieg in ein sehr komplexes und vertraktes Thema, dass soweit ich das Beurteilen kann immense Bedeutung für die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit hat. Bradshaw schätzt, dass 90% aller Familien "Shame-based" arbeiten, also Beschämung als Erziehungmittel einsetzen. Das nur am Rande.

D_p

bearbeitet von D_perfect

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Top Beitrag von Dir. Vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast einen kurzen Überblick über dieses immens wichtige Thema zu geben.

Ich fürchte jedoch, dass du einen Großteil der Community mit deinem Text überfordern könntest. Ich hoffe, dass ich im Unrecht bin ;-) Denn dieses Thema ist meiner Ansicht nach das wichtigste und elementarste Thema, wenn es um Persönlichkeitsentwicklung geht und gleichzeitig leider auch das wenig beachtetste.

Was mir noch zu dem Gefühl der Scham an sich einfällt: So blöd es auch klingen mag, aber ich habe für mich herausgefunden und auch in mehreren Büchern von Nathaniel Branden nachgelesen, dass es Schuld- oder Schamgefühle nicht gibt!!! Das sind nur "Scheingefühle", die ein viel tiefsitzenderes und intensiveres Gefühl verbergen sollen. Jedoch lehnen wir dieses Gefühl so ab, dass wir stattdessen ein Schamgefühl installiert haben. Scham zu fühlen ist grausam. Ich habe sie in meinem Leben leider schon sehr oft fühlen müssen, weil ich viel durch Scham erzogen wurde von Elternhaus oder Gesellschaft.

Ich lege jedem Interessierten sehr das Buch "The disowned self" von Nathaniel Branden ans Herz. Der Autor beschäftigt sich auf glaube ich ca. 260 Seiten intensiv mit genau diesem Thema und wird im Gegensatz zu Bradshaw, der leider dazu in seinen Büchern neigt, nicht reißerisch sondern bleibt seriös fundiert.

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War irgendwie zu befürchten, dass auf diesen Top Beitrag von dir keine Ressonanz kommt. Schade....ihr verpasst ein sehr wichtiges Thema in eurer Persönlichkeitsentwicklung.

bearbeitet von Xalimon

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Super Text.

Ich denke, dass das ganze in der Erziehung seine Wurzeln hat, und in der frühen Jugend in der Schule z.B extrem verstärkt werden kann - siehe Mobbing Opfer.

Das ist ja ein ähnlicher Prozess.

Oder liege ich falsch?

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Gast D_perfect
Guter Beitrag D_perfect. Kennst du die Studien von Alice Miller? Sind zwar schon etwas älter, gehen aber in die gleiche Richtung.

Alice Miller ist mir ein Begriff und ich hatte ihre Bücher einige Male auf meiner Bestelliste bei Amazon. Allerdings arbeite ich lösungsorientiert an mir und wälze mich daher nicht länger als nötig in "dysfunktionalen" Strukturen. Mir reichen daher die beiden o.g. Bücher. Toxic Shame ist eine sehr sicke Angelegenheit und ich danke Gott dafür, dass ich niemals in Dimensionen vordringen muss, wie es Vergewaltigungs- oder Mißbrauchsopfer tun müss(t)en. Ich habe auf meiner bisherigen "Reise" einige Frauen kennengelernt, die ( im Nachhinein offensichtlich ) unverarbeitete Erfahrungen dieser Art hatten. Dieser Täter-Opfer Switch auf den man in Beziehungen mit diesen Frauen trifft ist total verstörend. Sie versuchen dich mit allen Mitteln zu kontrollieren und manipulieren ununterbrochen(Täter)...sobald du das aber unterbindest und eigenständig agierst, bekommen sie riesige Angst und drängen dich in die Täter - Rolle. Alles in der Absicht, dass du ihnen nicht zu nahe kommst. Ich steig da nicht wirklich dahinter, und das ist wahrscheinlich sogar gut so. Es gab Situationen, wo ich im Nachinein nicht mehr weiß, ob ich einfach "nur" krassen Sex hatte oder in die Rolle eines Vergewaltigers gesetzt wurde. Ich wills ehrlich gesagt auch nicht wissen...

Ich hab gerade keine Ahnung, ob das Sinn macht was ich schreibe aber besser kann ich es nicht erklären.

Alle latenten oder manifesten Mobbingopfer oder Kinder von psychsisch labilen Eltern sollten die Bücher m.E. aber auch lesen. Die Mechanismen sind ähnlich.

Für jemanden, der einigermaßen normal aufgewachsen ist und einfach etwas an sich arbeiten will ist es wahrscheinlich too heavy.

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Ganz interessantes Thema!

D_perfect kannst du weitere Beispiele von deinen Erfahrungen mit Frauen mit Missbrauchserfahrungen geben? Find das ein sehr interessantes Thema, da Missbrauch doch weit verbreitet ist.

Hatte eine LTR mit einem HB, welches auch missbraucht worden ist von einem ex-Freund. Die Beziehung ist bereits etwas länger her, aber mich würde trotzdem interessieren, ob es gewisse Muster bei solchen Frauen/Menschen gibt.

Was mir auffiel (was aber auch nur ein Persönlichkeitszug ihrerseits war und evt. nicht verallgemeinerbar), dass sie extrem die Schuld bei anderen (u.a. bei mir) suchte. Zum Teil gerechtfertigt, zum Teil ungerechtfertigt. Auf jeden Fall bestand meiner meinung nach eine Tendenz die Fehler immer bei anderen/der Umwelt zu suchen.

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Gast D_perfect
D_perfect kannst du weitere Beispiele von deinen Erfahrungen mit Frauen mit Missbrauchserfahrungen geben?

Sorry, nein. Das empfände ich als respektlos den Frauen gegenüber, die mir diesen verwundeten Teil von sich gezeigt haben.

Was mir auffiel (was aber auch nur ein Persönlichkeitszug ihrerseits war und evt. nicht verallgemeinerbar), dass sie extrem die Schuld bei anderen (u.a. bei mir) suchte. Zum Teil gerechtfertigt, zum Teil ungerechtfertigt. Auf jeden Fall bestand meiner meinung nach eine Tendenz die Fehler immer bei anderen/der Umwelt zu suchen.

Stichwort Toxic Guilt. Sie denkt scheinbar häufig in Patterns wie schuldig vs. unschuldig. Die Schuld auf andere abzuwälzen ist nur der Versuch ihre eigenen Schuldgefühle von sich selbst wegzulenken. Wahrscheinlich braucht sie in erster Linie das Gefühl das alles okay ist, egal wie sie sich verhält. Streit triggert nur ihre Schuldgefühle.

Schwer mit PU-Philisophie in Einklang zu bringen, aber es geht mit einem extrem liebevollen Frame.

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Schwer mit PU-Philisophie in Einklang zu bringen, aber es geht mit einem extrem liebevollen Frame.
Die PU-Philosophie ist eigentlich ein Mittel gegen Missbrauch. Persönlichkeitsentwicklung führt ja dazu, dass Menschen selbstständiger werden. Also Verantwortung für sich selbst übernehmen und die Schuld nicht mehr bei anderen suchen.

Was ich auch so sehe wie du, ist dass manche PU-Methoden problematisch sein können. Wenn jemand manipulative Tendenzen hat, kanns sein dass er PU nicht nutzt um sich selbst zu entwickeln, sondern um andere besser manipulieren zu können. Also PU nutzt um nicht selbstständig werden zu müssen.

Aber das gibts eigentlich überall. Ich hab mal gehört, dass Borderliner früher öfters ihre Psychoanalyse dafür genutzt haben, sich psychologisches Fachwissen anzueignen, um dann damit ihrem Umfeld alle möglichen psychischen Probleme einzureden.

NAbend die Herren,

dem Themenersteller seine Ausführungen treffen voll und ganz ein zentrales Thema in Sachen Persönlichkeitsentwicklung. Meine Hochachtung dazu!

Ich habe mich hier angemeldet und finde, dass die Community vielen Männern helfen kann. Keine Google-Suche beantwortet die Fragen, die man so hat, kein Freund kann einem sagen was man im Umgang mit Frauen so alles falsch macht, ganz im Gegenteil, im Weltweiten Web kursiert so viel Quatsch, dass die Quellen ja durchaus zweifelhaft anzusehen sind.

Die oben genannten Bücher scheinen das Hauptproblem vieler Männer (grundsätzlich vieler Menschen) anzusprechen. Scham und Schuldgefühle sind echte Paranüsse, die es für ein erfülltes Leben (mit viel Freude, Frauen und Sex) ordentlich zu knacken gilt. Dabei muss natürlich jeder immer erstmal bei sich selbst anfangen zu suchen, Psychotherapien helfen gut und haben Anteil, ist klar. Wer allerdings dabei bleibt und sich "therapieren lässt" statt eine "Therapie zu machen", der hat ganz schnell den berüchtigten Therapieschaden an der Backe und da kann dann im zwischenmenschlichen Umgang sicher nichts beziehungstechnisches bei rauskommen.... der Vorposter hat darauf bereits hingewiesen und die Übeltäter ermahnt.

Ich für meine Verhältnisse bin ganz froh, dass es zum Austausch Plattformen wie diese hier gibt, da Männer und Frauen naturgemäß zusammen gehören, aber die Barrieren zwischen beiden Geschlechtern oftmals doch wie Panzersperren erscheinen. Die sind aber überwindbar und das klappt ja z.B durch die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit, sprich den Zugang zu sich selbst zu finden, Selbsterkenntnis, Selbstbeobachtung, Vorbilder, Vergangenheitsbewältigung (in MAßEN!!!), doch immer noch am besten.

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D_Perfect, sehr schöner Beitrag und interessantes Thema. Das Prinzip war mir zwar schon bekannt, ich wusste aber nicht, dass es dafür auch einen Namen gibt. Ich habe mal bei Amazon geguckt und es scheint wohl auch eine deutsche Übersetzung zu geben. Mein Englisch ist zwar gut aber nicht so gut das ich mir das Lesen eines psychologischen Fachbuches zutrauen würde. Hast du Erfahrungen, was die Üersetzung angeht? Manche Übersetzungen versauen einem ja das ganze Buch,.. man ehe sich mal "Die Perfekte Masche" an, dass ist ein Grauen!

mfg

Reaven

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