Problem mit Eltern Melde Dich an, um diesen Inhalt zu abonnieren 0

[celeb369 0]

Hallo zusammen,

über diese Sache habe ich mit meinem Umfeld noch nie in Gänze gesprochen, deswegen möchte ich gerne hier eine Einschätzung einholen.

Es geht darum, dass ich mich mittlerweile wenig bis gar nicht mehr mit meinen Eltern verbunden fühle bzw. identifizieren kann. Kurz zur Einschätzung: Beide haben einen Hauptschulabschluss und üben einfache Berufe aus, was ich an sich absolut nicht schlimm finde. Ich selbst habe studiert und promoviere derzeit. Ich bilde mir darauf nichts ein, oder stelle mich aufgrund dieser Tatsache über meine Eltern, ich möchte es bloß erwähnen, also nicht falsch verstehen bitte. Viel mehr stören mich ihre Charaktere und ihre "Wertevorstellungen". Ich habe in meiner Kindheit viel Negativität mitbekommen, es herrschte in unserer Familie keinerlei Harmonie, im Gegenteil man war sich eher feindselig. Meiner Schwester und mir wurde das Gefühl gegeben Ballast zu sein, uns wurde stets Abneigung entgegen gebracht, auch Gewalt war ein Thema. Mit der Trennung meiner Eltern verschärfte sich alles obendrein, die neuen Partner beanspruchten das jeweilige Elternteil für sich und grenzten mich und meine Schwester weiter aus, beide haben jeweils noch ein Kind bekommen und wir standen zwischen den Stühlen. Mit dem neuen Partner meiner Mutter entwickelte sich ein regelrechter "Asi-Haushalt", er Alkoholiker, Streit und Hass, unverputzte Wände, Unordnung, niemand kümmerte sich richtig um das neue Kind. Unter diesen Umständen habe ich den Großteil meiner Jugend gelebt (vom Alter 12 bis etwa 20), was meiner Entwicklung sicherlich geschadet hat. In der Zeit hatte ich keine Freunde und habe mich zurückgezogen. Mein Vater hat sein Ding mit der neuen Partnerin durchgezogen. Mit 20 bin ich dann von zu Hause ausgezogen und habe mein Ding durchgezogen und konnte mir ein soziales Umfeld aufbauen. Heute bin ich 27 und von Jahr zu Jahr ist der Kontakt und die Bindung zu meinen Eltern weniger geworden. Ich finde es schade, dass ich eigentlich nichts von meinen Eltern lernen konnte, weder haben sie mir Werte vermittelt, noch irgendwas anderes was ich nennen könnte, im Gegenteil, ich brauchte lange um meinen heutigen Charakter zu bilden und arbeite bis heute weiter daran.

Eigentlich bin ich ein sehr ehrlicher und direkter Mensch, aber bei diesem Thema bin ich sehr verschlossen, was mich stört. Ich befürchte dann anders wahrgenommen zu werden, was ich vermeiden möchte. Selbst meine engeren Freunde kennen meine Geschichte nicht. 

Nun ist es so, dass ich eine neue Partnerin habe, die ein sehr gutes Verhältnis zu ihren Eltern hat und viel über sie erzählt (sie sind vom Bildungs- und Sozialstatus ein ganz anderes Kaliber, als meine). Im Gegenzug habe ich nur sehr wenige Details zu meine Eltern preisgegeben und vermeide das Thema, wenn es möglich ist. Diese Tatsache bedrückt mich, denn ich wäre gerne ehrlich bzw offener zu ihr. Ich befürchte auch hier, dass sie mich anders sieht, für etwas was ich nicht ändern kann. Deswegen weiß ich nicht wie ich damit umgehen soll, denn in nächster Zeit würden dann mal die Elternbesuche anstehen. Am liebsten würde ich sie meinen Eltern nicht vorstellen (ich kann mir absolut nicht vorstellen sie mit "nach Hause" zu bringen), weiß aber nicht wie sie dazu stehen würde, dass es mich im Prinzip nur ohne Eltern gibt. Denn von all dem ahnt sie gar nichts.

Wie würdet ihr diese Sache angehen?

Danke fürs Lesen

celeb369

 

April 14, 2017 bearbeitet von celeb369

[Magic Mike 79]

Ich möchte dir nur schnell antworten, weil es recht spät ist:

So gehen wir mal von unten nach oben: Erstmal herzlichen Glückwunsch zu deiner Freundin! Ich hab ein gutes Gefühl, wenn du irgendwann das Thema mit deinen Eltern ansprichst. Du solltest aber im Vorfeld deine Fühler ausstrecken wie wichtig ihr das Eltern-Kind-Thema ist. Wenn sie was gegen "Assi-Familien" haben sollte, dass lass es lieber darauf beruhen. Dennoch sollte sie einen Eindruck von deinen Eltern gewinnen. Eine OK-Entscheidung wäre, wenn sie deine Eltern nicht mag und alles darum geben wird dich zu jedem feierlichen Anlass bei ihren Eltern haben möchte.

Nebenbei möchte ich dir nur anmerken, dass du sie als Freundin ausgewählt hast unter anderem auch wegen ihrer funktionierenden Familie, da du selbst keine hast, oder? Falls du verstehst was ich meine?! 

vor einer Stunde, celeb369 schrieb:

Unter diesen Umständen habe ich den Großteil meiner Jugend gelebt (vom Alter 12 bis etwa 20), was meiner Entwicklung sicherlich geschadet hat. In der Zeit hatte ich keine Freunde und habe mich zurückgezogen. Mein Vater hat sein Ding mit der neuen Partnerin durchgezogen. Mit 20 bin ich dann von zu Hause ausgezogen und habe mein Ding durchgezogen und konnte mir ein soziales Umfeld aufbauen. Heute bin ich 27 und von Jahr zu Jahr ist der Kontakt und die Bindung zu meinen Eltern weniger geworden. Ich finde es schade, dass ich eigentlich nichts von meinen Eltern lernen konnte, weder haben sie mir Werte vermittelt, noch irgendwas anderes was ich nennen könnte, im Gegenteil, ich brauchte lange um meinen heutigen Charakter zu bilden und arbeite bis heute weiter daran.

Ich glaube ich verstehe dich hier ganz gut... Du möchtest deine Eltern nicht verdammen, aber innerlich wünscht du dir, du wärst gut bürgerlich/akademisch aufgezogen wurden, oder? Es treten Gedanken auf wie "wenn sie doch bloß gebildet wären, dann hätte aus mir eine viel bessere Person werden können und ich wäre viel selbstbewusster und müsste nicht soviel an mir arbeiten. Mein Leben wäre viel unbeschwerter" -  ist es so?

Das Stichwort ist Gegensätzlichkeit. Gegensätzlichkeit trifft auch auf deine Elternproblematik zu. Du musst es so sehen: Du hast doch Werte und Ideale, oder nicht? Woher kommen die? Du hast sie dir selber entwickelt. Du brauchst deine Eltern gar nicht dafür. Promovierst als Erster aus der Familie. Du wärst jetzt nicht da wo du bist, wenn all das gar nicht gewesen wäre. Nur wer ganz unten war, kennt den ganzen Weg nach oben.

Tai Lopez sagte mal sinngemäß: Out of the ashes, you will rebuild your future. You are the only one, who's gonna see it. Other people, even your friends or family - they love themselves more than they love you. And that's how it's supposed to be. They have their own task to do, you can't blame them, right?

 So, don't get mad.

mm

 

[celeb369 0]

vor 12 Stunden, Magic Mike schrieb:

 

Nebenbei möchte ich dir nur anmerken, dass du sie als Freundin ausgewählt hast unter anderem auch wegen ihrer funktionierenden Familie, da du selbst keine hast, oder? Falls du verstehst was ich meine?! 

Hier würde ich widersprechen. Ich habe sie davon unabhängig ausgewählt. Ihre funktionierende Familie baut da gefühlt eher Druck auf mich auf, denn wäre es bei ihr auch etwas schwieriger, könnte ich sicherlich leichter mit ihr über meine Familie sprechen. Die Diskrepanz zwischen den Familien ist halt sehr groß, das macht es eher schwerer. Ich befürchte, dass sie aufgrund ihres guten Verhältnisses, meine Gegebenheiten eventuell nicht akzeptieren kann.

Zitat

Ich glaube ich verstehe dich hier ganz gut... Du möchtest deine Eltern nicht verdammen, aber innerlich wünscht du dir, du wärst gut bürgerlich/akademisch aufgezogen wurden, oder? Es treten Gedanken auf wie "wenn sie doch bloß gebildet wären, dann hätte aus mir eine viel bessere Person werden können und ich wäre viel selbstbewusster und müsste nicht soviel an mir arbeiten. Mein Leben wäre viel unbeschwerter" -  ist es so?

Hier stimme ich dem ersten Teil zu. Klar hätte ich gerne eine "normale" Familie, aber nicht weil ich es dann einfacher gehabt hätte. Ich bin zufrieden mit mir und stolz auf mich welchen Weg ich gegangen bin. Mich stört eher, dass man mich für meine Familie verurteilen könnte, etwas wofür ich nichts kann und etwas was ich persönlich nicht ändern kann, was nicht in meiner Hand liegt. Das fühlt sich unfair an. 

Zitat

Das Stichwort ist Gegensätzlichkeit. Gegensätzlichkeit trifft auch auf deine Elternproblematik zu. Du musst es so sehen: Du hast doch Werte und Ideale, oder nicht? Woher kommen die? Du hast sie dir selber entwickelt. Du brauchst deine Eltern gar nicht dafür. Promovierst als Erster aus der Familie. Du wärst jetzt nicht da wo du bist, wenn all das gar nicht gewesen wäre. Nur wer ganz unten war, kennt den ganzen Weg nach oben.

Ja richtig, ich bin heute da wo ich bin, weil alles so passiert ist, wie es passiert ist. Durch die Vergangenheit weiß ich vieles sehr zu schätzen, dafür bin ich sogar dankbar.

 

Ich denke, sie hat bemerkt, dass ich kein so besonderes Verhältnis zu meinen Eltern habe, eben weil ich wenig darüber rede und sehr selten dort bin. Nur kann ich dieses Fragezeichen so nicht ewig stehen lassen, deshalb möchte ich ihr vorsichtig dosiert sagen, dass ich kein gutes Verhältnis zu meinen Eltern habe. Die Details würde ich erstmal nicht erwähnen, das bräuchte viel Zeit und Vertrauen Vorgenommen habe ich mir das schon mehrmals, habe es dann in der Situation mit ihr nicht fertig gebracht es anzusprechen.

[Gast kurt cobain]

vor 3 Stunden, celeb369 schrieb:

Mich stört eher, dass man mich für meine Familie verurteilen könnte, etwas wofür ich nichts kann und etwas was ich persönlich nicht ändern kann, was nicht in meiner Hand liegt. Das fühlt sich unfair an. 

Ich komme auch aus "schwierigen Verhältnissen" und meine mittlerweile ex-Frau aus einer Bildungsbürgertum-Akademiker-Familie. Mit Mitte 20 hatte ich den Kontakt zu meinen Eltern allerdings komplett abgebrochen. Ich habe die Oberflächlichkeit um nicht zu sagen Dummheit meiner beiden Elternteile, die ebenfalls zum Glück längst geschieden waren, nicht mehr ausgehalten.

Ich habe allerdings auch nie einen Hehl daraus gemacht, dass das Verhältnis zu meinen Eltern extrem gestört ist. Meiner ex-Frau habe ich ein paar Wochen nach dem Kennenlernen einiges erzählt, jedoch nicht alles und nicht im Detail. Ihrer Familie habe ich nur auf Nachfragen Auskunft gegeben und wie ich es fand sozial verträglich und so, dass - wie ich dachte - intelligente Menschen sich ihren Teil schon denken können. Das hat auch ganz gut geklappt. Bei der Hochzeit war dann von meiner Seite fast keine Familie anwesend, von ihrer Seite jede Menge Leute. War schon komisch, ging aber nicht anders und ich hatte mir meine Familie ja nicht ausgesucht.

Jedenfalls hatte ich mich mit ihrer Familie (also neben den Eltern auch mit den Omas, Opas, Tanten, Onkels, Cousins etc. größtenteils Ärzte und Lehrer) ganz normal angefreundet. Bei politischen Diskussionen merkte man dann schon die unterschiedliche soziale Herkunft bspw. als es darum ging, dass Studiengebühren doch sinnvoll seien, weil sie Bummelstudenten von den Unis fernhalten und die Eltern das Studium sowieso und selbstverständlich finanzieren. Zwei oder drei Mal in den ganzen Jahren wurde ich darauf angesprochen, dass ich das Verhältnis zu meinen Eltern doch in Ordnung bringen sollte. Ich empfand das als Zumutung.

Für mich war immer wichtig, dass ich gegenüber anderen Leuten meinen Eltern keine Vorwürfe mache oder mich beschwere oder Details der schmerzhaften Erfahrungen schildere. Ich erzähle auf der Meta-Ebene: keine so glückliche Kindheit und Jugend.

Da ich nun selbst Vater bin noch ein Hinweis: Wenn du jemals in Erwägung ziehst, eine eigene Familie zu gründen, überlege, ob du dein eigenes Kind deinen Eltern zum Babysitten überlassen würdest. Ich selbst hätte weder meinem Vater noch meiner Mutter mein Kind anvertraut nach den Erfahrungen, die ich mit denen gemacht habe.

 

Und was die Persönlichkeit angeht: zu seiner Vergangenheit stehen und die richtigen Schlüsse daraus ziehen. Sagen wie es ist bzw. wie es war, zu den eigenen Gefühlen stehen und danach handeln.

 

[Gast]

Zitat

Leo Tolstoi: Alle glücklichen Familien gleichen einander. Jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Art unglücklich.

So wie du es beschrieben hast, komme ich aus einer ähnlich kaputten Familie und habe auch einen Bildungsaufstieg gemacht. Mittlerweile habe ich auch keinen Kontakt mehr zu meinem Vater und wenig zu meiner Mutter. Meine Freundinnen kamen zum Teil auch aus gutbürgerlichen Akademikerhaushalten und hatten eine entsprechende Vorbildung. Mittlerweile bin ich dazu übergegangen, meine Geschichte und die Geschichte meiner Familie zu erzählen. Eigentlich jede konnte es nachvollziehen bzw. ich habe eigentlich keine schlechten Erfahrungen damit gemacht - auch nicht im Freundeskreis. Es waren auch die unterschiedlichsten Frauen darunter - drei aus sozialen Berufen, eine Ärztin, Jurastudentin, promovierte Geisteswissenschaftlerin. Je Älter ich werde, desto einfacher fällt es mir, dies zu erzählen und ich habe auch den Eindruck, dass es sich positiv auf die Beziehung auswirkt. Außerdem muss ich dann einen Teil von mir nicht verstecken, was ich auf Dauer auch eher anstrengend finde. Was etwas mich etwas nervt, sind dann die mitleidige Blicke...keine Ahnung, ob ich die Geschichte anders erzählen müsste, um diese nicht zu bekommen. Vielleicht hilft da wirklich eher die Meta-Ebene. Aber auch ich versuche Vorwürfe zu vermeiden, sondern schildere den gesamten Kontext der Familiengeschichte, wie zum Beispiel, dass es meine Eltern als Nachkriegskinder mit traumatisierten Eltern vermutlich auch sehr schwer hatten.
 

Am 15.4.2017 um 20:52 , kurt cobain schrieb:

Und was die Persönlichkeit angeht: zu seiner Vergangenheit stehen und die richtigen Schlüsse daraus ziehen. Sagen wie es ist bzw. wie es war, zu den eigenen Gefühlen stehen und danach handeln.

Das kann ich nur unterschreiben.