Warum Menschen sich stetig rechtfertigen

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Gast الحكيم

Hallo Freunde! Warum sind Menschen stets daran, sich zu rechtfertigen? Die Gedanken zu diesem Thema kamen mir vor einiger Zeit in einer ruhigen Minute. Ich freue mich auf einen regen Erfahrungs-/ und Ansichtenaustausch.

 

Ich werde es an einem Beispiel verdeutlichen.

Der Chef eines Angestellten kommt in dessen Büro und beschwert sich darüber, dass der Schreibtisch des Mitarbeiters nicht ordentlich und aufgeräumt ist. Der Mitarbeiter entgegnet dieser Anschuldigung lediglich mit ‚ich kam noch nicht dazu, aufzuräumen‘. Er versucht also, sein Handeln (das nicht aufräumen des Schreibtisches) durch eine Rechtfertigung reinzuwaschen.

Die Situation hierbei ist beliebig austauschbar, doch jeder wird Situationen ähnlich der eben genannten kennen.

 

Theorie

Rechtfertigen. Definition laut Duden „etwas gegen einen Einwand, Vorwurf verteidigen, als berechtigt hinstellen“. Umgangssprachlich auch „sich rausreden“.

 

Der sich rechtfertigt, klagt sich an (Aphorismus)

 

Wir rechtfertigen uns immer dann, wenn wir nicht bereit sind, die volle Verantwortung für unser Handeln zu übernehmen. Aus Angst vor Ablehnung, Ausgrenzung oder Kritik. Nicht zu verwechseln mit Erklärung, aber dazu weiter unten mehr.

 

 

Unterschiede zwischen Rechtfertigung und Erklärung

Die Unterschiede zwischen einer Rechtfertigung und einer Erklärung sind sehr fein und für viele Menschen auf den ersten Blick nicht klar ersichtlich. Dienen doch Erklärungen und Rechtfertigungen in erster Linie dazu, anderen Menschen die Beweggründe unseres Handelns begreiflich zu machen.

 

Der Unterschied liegt hierbei in der Übernahme der Verantwortung.

 

Wir treffen Entscheidungen auf Basis von Erfahrungen, Werten und Motiven. Dabei können wir die Folgen für unser Handeln meistens nicht genau vorhersagen. Im Normalfall handeln wir nach bestem Wissen und Gewissen und danach, was wir in der Situation für richtig erachten. Doch jeder Mensch macht Fehler.

So hat der Kochazubi, der gerade ein Gericht mit einer abgelaufenen Zutat verhunzt hat, zwei Möglichkeiten, zu handeln.

  1. Er kann Verantwortung für sein Handeln übernehmen und sich erklären. Dass er darauf vertraut hat, dass alle Zutaten, die im Lagerraum liegen, noch verwertbar sind und er das Verfallsdatum hätte überprüfen sollen. Er wird in Zukunft verstärkt darauf achten, diesen Fehler nicht noch einmal zu machen. (Eine klare Aussage, die erklärt, was geschehen ist und einem reinen Gewissen entspringt)
  2. Er kann aber auch die Schuld dem Kollegen Meier in die Schuhe schieben, dessen Aufgabe es eigentlich ist, Lebensmittel im Lagerraum auf ihr Haltbarkeitsdatum hin zu überwachen und Notfalls auszusortieren. (Erkennbarer Unterton von Trotz, Aggression, Empörung und schlechtem Gewissen)

An diesem Beispiel ist die Übernahme bzw. Abschiebung von Verantwortung schön zu sehen. In der Realität ist dies leider nicht immer so eindeutig möglich.

 

Gründe

Ein Grund für stetige Rechtfertigung ist sicherlich mangelndes Selbstbewusstsein und / oder soziale Konditionierung. Durch eine einfache Frage, warum etwas, das in unserem Verantwortungsbereich liegt, nicht so wie erwartet / gewünscht ist, erklären wir die Umstände. Auch wenn diese gerechtfertigt sind, sie bleiben eine einfache Rechtfertigung; aus Angst, für unser Handeln einzustehen. Stichwort ‚was könnten bloß die anderen von mir denken?‘.

Oftmals wollen wir unser Handeln nur erklären, landen dann aber doch wieder im Fahrwasser der Rechtfertigung.

 

Auswirkungen

Rechtfertigungen drängen uns in eine imaginäre Ecke. Wir stehen quasi ‚mit dem Rücken zur Wand‘ und zeigen doch mit dem Finger auf andere. Wir machen uns selbst kleiner, als wir sind und wollen für unser Handeln keine Verantwortung übernehmen. Exemplarisch zieht sich diese Einstellung durch unser komplettes Leben. Jeder Lebensbereich wird davon in Mitleidenschaft gezogen. Ob Familie, Freunde, Karriere. Gesund ist das nicht.

 

Was tun?

Wenn du dir unsicher bist, ob du dich gerade rechtfertigst oder erklärst, dann höre in dich hinein. Fühlst du dich unsicher, im Unrecht? Dann wirst du dich vermutlich gerade rechtfertigen.

Vertraue auf dieses Gefühl. Wir Menschen sind ziemlich mies darin, uns selbst anzulügen.

 

  • Übernimm die volle Verantwortung für dein Handeln
  • Erkläre deine Beweggründe, unabhängig von der Schuldfrage
  • Streiche Rechtfertigungen ab sofort aus deinem Leben.

 

Ich hoffe, ich konnte euch den ein oder anderen Gedankeninput geben.

 

Viele Grüße, 

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vor 27 Minuten schrieb Schwielenschorsch:

Stichwort ‚was könnten bloß die anderen von mir denken?‘.

Warum auch immer, ich habe mich nie dafür interessiert, was andere von mir denken. OK, hab mir damit so manchen Ärger eingehandelt, halte es aber bis heute so.

vor 29 Minuten schrieb Schwielenschorsch:

Die Unterschiede zwischen einer Rechtfertigung und einer Erklärung sind sehr fein und für viele Menschen auf den ersten Blick nicht klar ersichtlich. Dienen doch Erklärungen und Rechtfertigungen in erster Linie dazu, anderen Menschen die Beweggründe unseres Handelns begreiflich zu machen.

 

Erklärungen für Aktionen, Reaktionen, Gedanken, Verfahrensweisen, Überlegungen, Wünsche, Verhaltensweisen etc. finde ich wichtig. Wie soll einer wissen was ich will, wenn ich es nicht verständlich mache. Erwarte von niemanden Gedanken lesen zu können.

 

vor 34 Minuten schrieb Schwielenschorsch:

Fühlst du dich unsicher, im Unrecht?

Dann spreche ich das an. Wenn ich Unrecht habe, entschuldige ich mich. Mir fällt da keinen Zacken aus der Krone. Bin auch nur Mensch.

Den meisten Menschen nehme ich damit den Wind aus den Segeln. Und die, die sich trotzdem aufregen wollen oder eine Welle machen, hätten dies wohl eh getan. Ich denke dann immer, die haben noch ein anderes Problem und damit habe ich schon oft Recht behalten.

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vor 5 Minuten schrieb Firster:

Erklärungen für Aktionen, Reaktionen, Gedanken, Verfahrensweisen, Überlegungen, Wünsche, Verhaltensweisen etc. finde ich wichtig. Wie soll einer wissen was ich will, wenn ich es nicht verständlich mache. Erwarte von niemanden Gedanken lesen zu können.

Der TE erklärt in seinem Text, dass er Erklärungen für richtig hält, Rechtfertigungen aber nicht. Somit dürftet ihr der gleichen Meinung sein. Betrachte den gesamten Text, nicht nur die 2 zitierten Sätze, dann wird das deutlich. z.B. "Erkläre deine Beweggründe, unabhängig von der Schuldfrage"

vor 7 Minuten schrieb Firster:

Dann spreche ich das an. Wenn ich Unrecht habe, entschuldige ich mich. Mir fällt da keinen Zacken aus der Krone. Bin auch nur Mensch.

Den meisten Menschen nehme ich damit den Wind aus den Segeln. Und die, die sich trotzdem aufregen wollen oder eine Welle machen, hätten dies wohl eh getan. Ich denke dann immer, die haben noch ein anderes Problem und damit habe ich schon oft Recht behalten.

Ach da würde dir der TE zustimmen. Schließlich sagt er, dass man Verantwortung übernehmen soll. ("Übernimm die volle Verantwortung für dein Handeln")

Mit deinen Aussagen scheinst du dem Text vom TE kritisch gegenüberzustehen. Bitte korrigiere mich, wenn ich mich irre. Betrachtet man den ganzen Text vom TE und deine Anmerkungen, scheint ihr im Prinzip bei vielen Dingen der gleichen Meinung zu sein.

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Gast El Rapero

Sehr schöner Beitrag, meiner Meinung nach.

Ich denke da ähnlich und der Themenstarter ( ist TE die Abkürzung dafür??? ) hat es gut auf den Punkt gebracht.

Je mehr Verantwortung man für sich übernimmt, desto weniger rechtfertigt man sich im Endeffekt.

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Nur kur zusammengewürfelte Gedanken:

Ich vermute, der Rechtfertigungszwang stammt aus Kindertagen, wo dem bedauernswerten Geschöpf, das noch keinen Selbstwert entwickeln konnte, ständig mitgeteilt wurde, wie scheiße es ist. Vorwurfsart: Du *bist* der Fehler. Nicht: Du hast einen Fehler gemacht. Dazu ständig übergriffiges Verhalten in die Intimzone (der Persönlichkeit/Gedanken): du mit deiner Gier mußtest dich ja verschlucken, klar, daß dir Zappelphilipp das Glas runterfällt, du kannst ja gar nichts.

Später bleibt die unbewußte Zustimmung, daß man nichts wert ist und daß alle anderen das Recht haben, einen dafür zu kritisieren. Und man selbst eben die Pflicht, sich so gut es geht, dafür zu rechtfertigen.

Also so wie sich ein Ingenieur dafür rechtfertigen muß, wenn seine Brücke einstürzt, aber begrenzt auf den technischen Sachverhalt, so meint der "Selbstwertlose", er müsse *sich* und seine inneren Beweggründe vor jedem, der danach verlangt, rechtfertigen.

Ich halte das für einen nicht selbstverständlichen Entwicklungsschritt, das zu erkennen und sich dem zu verweigern. Ist mir selbst erst relativ spät im Leben bewußt geworden. Durch einen übergriffigen Chef, der (nicht nur mich) mich wieder wie ein Schulbub behandelt hat und die entsprechenden Mechanismen auslöste (Warum haben sie hier einen Kaffeefleck drauf gemacht, das ist eine Respektlosigkeit, blabla). Auch wenn ich schon vorher die nach außen sichtbare Rechtfertigung steuern konnte, hatte ich innerlich oft das Gefühl, das hätte ich jetzt aber besser erklären müssen. "Besser" dabei der unbewußte Gedanke: durch mehr Preisgabe innerer Abläufe. Dazu gehörten dann auch Magengrummeln vor einem Gesprächstermin und zwanghafte Vorbereitung ins letzte Detail, um alle möglichen (meist übergriffigen) Fragen beantworten zu können.

Irgendwann hats *schnapp* gemacht und ich habe mir gesagt: das habe ich nicht nötig, mich so behandeln zu lassen. Fortan habe ich auf den Sachteil seiner Fragen geantwortet (warum haben sie so getrödelt mit dem Bericht - ich habe Tabelle X erst gestern bekommen, da war ich aber beim Vorstand sein Meerschweinchen baden), und den Rest überhört.

Hat sich innerlich sehr viel besser angefühlt und es erscheint im Rückblick eigentlich als kein großer Schritt. Vielleicht kann man sichs auch mit Schulz von Thun erklären, indem man den Beziehungsteil der Nachricht möglichst ignoriert, wenn er negativ gemeint ist und gegen die eigene Persönlichkeit gerichtet ist (warum haben sie unfähiger Stümper die Hummersuppe für 100 Euro verdorben - ich habe genau dosiert die Wachtelhirnpastete vom Regalplatz X eingerührt und mich dabei auf den Schaumgrad nach der Tabelle konzentriert. Dann sah ich das alles flockte und wie Affenwichse aussah und habe es weggeschüttet. Auf der Packung sah ich dann das abgelaufene Datum.)

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Hmm,

Grundsätzlich spannender Ansatz, aber mir fehlt da eine Graustufe. Basierend auf deinem Eingangsbeispiel: In Situationen mit einer definierten Machthierarchie ist eine Rechtfertigung oft einfach eine sozial notwendige unehrliche Entschuldigung.

4 hours ago, Schwielenschorsch said:

Auch wenn diese gerechtfertigt sind, sie bleiben eine einfache Rechtfertigung; aus Angst, für unser Handeln einzustehen. Stichwort ‚was könnten bloß die anderen von mir denken?‘.

Wenn mein Chef über meinen Schreibtisch motzt, dann geht mir das eigentlich am Arsch vorbei. Weil es nicht seine Kompetenz ist meinen Schreibtisch zu beurteilen. Ich kann ihm das aber aufgrund der Machthierarchie schlecht ins Gesicht sagen. Also kriegt er eine gerechtfertigte Rechtfertigung, die hat aber nix damit zu tun das ich die Handlung meinen Schreibtisch so zu haben schlecht finde oder Angst davor hätte gegenüber jemand auf gleicher Hierarchieebene (zb. einem Kollegen) dafür einzustehen.

Ich übernehme auch keine Verantwortung für die Fehler anderer Leute. Wenn in einem Projekt an dem drei Teams seriell arbeiten das mittlere Team Scheisse baut und deshalb bei uns im letzten Team alles knapp wird, dann kriegt das jeder zu hören der mich dafür anmotzt. Das wäre aber nach deinem Vergleich eine Rechtfertigung, weil ich mit dem Finger auf andere Leute zeige. Nur fühle ich mich dabei nicht unsicher oder im Unrecht, sondern ziehe einfach klare Grenzen für Verantwortlichkeit.

Gehe voll mit mit dem Kernthema: Verantwortung übernehmen. Für mein Gefühl sind die Worte "Rechtfertigung" und "Erklärung" da aber ein bisschen zu unscharf um daran zu unterteilen wer das tut oder nicht. Vielleicht gibt's ein besseres Wort - im Englischen wäre es "passing the bucket".

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Also sage ich zum ersten Beispiel als Angeklagter was?

 

Ich bin so. Damit müssen sie sich abfinden oder kündigen sie mich.

 

oder besser.....Ich bin so. Damit müssen sie klarkommen, wenn nicht sagen sie es mir und ich kündige.

 

oder es ginge auch noch anders.....Wenn ihnen das nicht passt, ist mir das scheißegal.

bearbeitet von Max--Power--

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vor 7 Stunden schrieb XOR2:

Mit deinen Aussagen scheinst du dem Text vom TE kritisch gegenüberzustehen. Bitte korrigiere mich, wenn ich mich irre. Betrachtet man den ganzen Text vom TE und deine Anmerkungen, scheint ihr im Prinzip bei vielen Dingen der gleichen Meinung zu sein.

@XOR2 Ja, ich denke wir stimmen wohl im Prinzip überein. Kritisch sehe ich nur das..

vor 8 Stunden schrieb Schwielenschorsch:

Die Unterschiede zwischen einer Rechtfertigung und einer Erklärung sind sehr fein und für viele Menschen auf den ersten Blick nicht klar ersichtlich. Dienen doch Erklärungen und Rechtfertigungen in erster Linie dazu, anderen Menschen die Beweggründe unseres Handelns begreiflich zu machen.

So fein finde ich die Unterschiede garnicht. Eigentlich eher sogar grob. Wenn Du Erklärungen abgibst dienen diese zum Verständnis einer Handlungs- oder Sichtweise und sind in der Regel wohlmeinend. Man will verstehen und verstanden werden. Rechtfertigungen stehen meistens in einem anklagenden Kontext. Der Gegenüber ist dann selten wohlmeinend.

Instinktiv bemerkt man dann meistens, das eine geforderte Rechtfertigung nicht zur Aufklärung einer Sache dient, sondern in erster Linie anklagen soll.

In dem Ganzen schwingen Vorwürfe mit. Selbst wenn diese verbal nicht kommuniziert werden. Nonverbal allerdings schon. Die innere Stimme weist einen sehr wohl darauf hin. Rechtfertigungen sind destruktiv, Erklärungen konstruktiv. Das merkt dein Bauch denn es drängt dich in die Defensive.

vor 1 Stunde schrieb Max--Power--:

oder es ginge auch noch anders.....Wenn ihnen das nicht passt, ist mir das scheißegal.

Hab ich so ähnlich mal gebracht. Seither ist der Umgangston respektvoller. Sozusagen auf Augenhöhe.

Wenn man nicht für sich einsteht, kann man das auch von niemand anderem erwarten.

Wahrscheinlich hat das was mit Selbstbewustsein zu tun. Mit Eigenliebe auf jeden Fall.

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