Kind, du solltest mal deine Ansprüche runterschrauben!
Wer kennt diesen Satz nicht. Meist fällt er auf alljährlichen Geburtstagsfeiern oder im Rahmen anderer Feiertage in denen die Familie zusammenkommt.
Am Tisch sitzen sie dann alle und beliebäugeln die letzte entstandene Partnerschaft der jüngeren Generation. Dein Bruder, deine Schwester, dein Cousin, ja sogar deine Mutter oder dein Vater sitzen am Tisch mit dem neuen Lebenspartner und alle freuen sich für die Person. Wollen wissen wie sie sich kennengelernt haben, wie ihre Pläne für die Zukunft sind. Wollen das neuerworbene Glück des Pärchens aufsaugen.
Und dann sitzt da noch das Sorgenkind. Du.
Zwischen 22 und 35 Jahre alt. Fest im Leben stehend. Ausgebildet, ausstudiert, zufrieden. Alleine. Ohne Begleitung. Wie auch schon die letzten Jahre. Nachdem sich alle Beteiligten an des neuen Glückes der anderen erfreut haben wird es ernst. Oma, Mutter, Schwester oder Tante fragen:
„Kind, was ist denn bei dir? Gibt es da niemanden? Du willst doch nicht dein Leben lang alleine bleiben? Schau mal wie glücklich die beiden hier sind! Vielleicht solltest du mal deine Ansprüche runterschrauben?“
Du wusstest dass die Frage auf den Tisch kommt. Sie nervt dich. Nicht weil du verzweifelt auf der Suche nach einem Partner bist, sondern bisher einfach niemand in dein Leben trat der dir dieses „Glück“ ermöglichte. Dementsprechend reagierst du kühl und gelassen auf die bohrenden Fragen. „Oma, es gibt da einfach zu viele Frauen die ich toll finde. Ich möchte mich noch nicht festlegen“ oder aber mein Favorit auf die Frage „Und, hast keine Freundin?“ – „Doch Oma. Aktuell sogar drei.“ Schockierte Gesichter. Thema erledigt für den Abend. Ziel erreicht. Success!
Wenn dir diese Situation bekannt vorkommt hab ich schlechte Nachrichten für dich. An deinem Beziehungsstatus wird sich auch in nächster Zeit wahrscheinlich wenig ändern. Du denkst dass das nicht schlimm ist? Korrekt. Ist es auch nicht. Du genießt deine Zeit, lernst unzählige Frauen & Männer kennen und schätzt jede/n Einzelne/n für ihre/seine Besonderheiten. Daran ist rein gar nichts verkehrt. Allerdings sprechen die Zeichen dafür, dass du ein ganz anderes Problem mit dir rumträgst.
Was hat dich davon abgehalten mit einer/m dieser Frauen / Männer den entscheidenden Schritt weiterzugehen? Haben sie alle deine Ansprüche nicht erfüllt? Die eine zu blond, die andere zu braun? Eine zu laut und fordernd, die andere zu schüchtern und zurückhaltend?
Es gab bei mir immer irgendeine Eigenschaft am Gegenüber, die dazu führte dass ich mir gar nicht erst etwas festes mit eben dieser Person vorstellen konnte. Oder wollte.
Mit meinen 27 Jahren hatte ich bisher zwei ernstzunehmende Beziehungen. Eine mit 21 und eine mit 25. Beide hielten nur neun Monate. Beide wurden durch mich beendet. Beide entstanden auf der Basis von Sex. Beide wurden schon nach nur wenigen Wochen „offiziell“. Beide habe ich nie meinen Eltern oder sogar Freunden vorgestellt. Bei beiden Trennungen ging es mir verhältnismäßig gut.
Ich hatte allerdings auch noch zwei anderer „Beziehungen“. Beziehungen in Anführungszeichen, da wir unser Verhältnis so nie definiert haben. Ich nannte es „exklusive Liaison“. Auch diese Verhältnisse gingen ca. 9 Monate. Nur, dass ich derjenige war der verlassen wurde. Bei beiden Trennungen ging es mir miserabel. Die letzte ist bei weitem noch nicht verdaut. Rückblickend betrachtet erkenne ich aber ein sich wiederholendes Muster.
Feste, offizielle Beziehung vom Typ A geht in die Brüche. Also gehe ich die nächste Sache sehr viel langsamer an. Keine Verbindlichkeiten, keine Versprechungen. „Mal sehen was kommt.“
Und jetzt der interessante Part.
Die „offiziellen“ Beziehungen waren mit Frauen, die meinen Ansprüchen vom ersten Moment an genügten. Bildhübsch, intelligent, erfolgreich, extrovertiert. „Das macht Sinn!“ denkt sich der Kopf da bereits nach kurzer Zeit. Leider aber sind all diese oberflächlichen Sachen nichts in das man sich verlieben kann. Ich bin mir zu 100% sicher, dass beide Beziehungen auch nicht dann etwas Langfristiges zu Tage gebracht hätten, wenn ich die Sache ebenfalls langsamer angegangen wäre. Es wuchs einfach keine Liebe.
Die „exklusiven Liaisons“ hingegen entstanden ganz anders. Man lernte sich kennen, die erste in einer Bar, die zweite über Tinder, war sich ganz sympathisch und ich war der Sache gegenüber einfach offener. Hätte ich beide Damen zu einem früheren oder späteren Zeitpunkt kennengelernt, hätte ich sie wahrscheinlich niemals angesprochen. Die oberflächlichen Sachen, in beiden Fällen die Optik, hätten mir nicht genügt.
Was hat mich dazu bewegt diese „Anforderungen“ fallen zu lassen oder lockerer zu sehen? Keine Ahnung. Ich bin vom Typ her immer ein Mensch gewesen der alles sofort haben musste. Immer schneller, immer höher, immer weiter.
Vor gut 2 Jahren habe ich aber erkannt, dass diese Einstellung zu allem anderen außer Glück führt. Die Erkenntnis wurde zu einem großen Teil auch dadurch getriggert, dass ich gesehen habe wie sich Menschen mit der gleichen Einstellung in meinem Freundeskreis entwickelten. Katastrophe. 9:00 Uhr bis 02:00 Uhr im Büro. Keine Freizeit. Keine Freunde. All das viele Geld für Koks und Partys um sich zu einem Ausgleich zu zwingen und weitermachen zu können. Danke nein. Das war dann irgendwie doch nicht meine Vorstellung vom Leben.
Also ließ ich von diesen Gedanken ab. Entspann dich. Mach dir weniger Sorgen. Den anderen geht es scheisse. Du willst nicht so enden wie sie.
Diese Einstellung wirkte sich auch auf mein Dating-Verhalten aus. Ich war einfach entspannter. Habe viele Sachen nicht mehr so eng gesehen. Kein Mensch ist perfekt. Ich auch nicht.
Dass meine letzte Liaison ein tragisches Ende nahm ist scheisse. Aber es war nötig, damit ich mich mit Fragen beschäftige, welche ich mich über Jahre hinweg nicht getraut habe zu stellen. Unter anderem, warum ich in der meisten Zeit unmöglich zu erfüllende Ansprüche gegenüber Frauen stellte. Die Antwort: Um mich selbst zu schützen. Um gar nicht erst die Möglichkeit in Betracht zu ziehen mich auf eine Person einlassen zu müssen, da sie ja meinen Ansprüchen nicht genügt.
Ansprüche zu haben ist gut und notwendig. Genauso wie Träume. Aber wenn du in den letzten Jahren nicht in der Lage warst eine Person zu finden die dich berührt, dann liegt das mit hoher Wahrscheinlichkeit daran, dass du es einfach nicht zugelassen hast. Du hast Frauen/Männer ausgewählt, die von vorneherein gar nicht in der Lage dazu sind einen solchen Stellenwert in deinem Leben einzunehmen. Quasi ein unterbewusstes, selbstschützendes Screening.
Welches Level von Ansprüchen ist also noch gesund?
In meinen Träumen heirate ich immernoch eine halb-italienisch, halb-spanische TV-Moderatorin. Die Hochzeit findet am Comer See statt. Kleiner Freundes- und Familienkreis. Weiße Möbel. Sonne. Traumhaft. Wir leben das halbe Jahr über in der Toskana. Die andere Jahreshälfte leben wir in Ovideo. Ich male Bilder oder mache Musik und bin den ganzen Tag über leicht angetrunken. „Keine Termine und leicht einen sitzen.“ Kennengelernt haben wir uns zufällig in einem Supermarkt um die Ecke, als wir beide gleichzeitig zur gleichen Cornflakes-Packung griffen.
Das Problem an dieser Disney-Vorstellung: Ich esse keine Cornflakes. Ich kann weder Malen noch Singen. Noch möchte ich den ganzen Tag über angetrunken mein Dasein verbringen. Es ist schön und lustig davon zu träumen. Aber es ist nicht die Realität.
Gleich verhält es sich mit Ansprüchen. Ansprüche sollten nichts anderes darstellen als Mindestanforderungen. Beziehungsweise: Sollte die Frau oder der Mann Dinge eurer „No-Go“-Liste aufzeigen, dann next. Ansonsten solltest du der Person die Chance geben, zumindest auf 1-2 Dates herauszufinden ob da „mehr“ geht. Und mit „mehr“ meine ich nicht die Fickerei. Die passiert im besten Falle schon beim ersten Date und war für beide keine Katastrophe. Der erste Sex ist immer schlecht oder zumindest nicht mit dem Sex zu vergleichen, den man mit Personen hat, die man über einen längeren Zeitraum trifft und bei der bereits eine große Vertrauens- und Intimitätsbasis herrscht.
Bei mir stellen sich diese No-Go’s wie folgt dar:
- Katzenbesitzer
- Fehlender höherer Bildungsabschluss
- Finanziell nicht unabhängig
- Hat bereits Kinder
- Persönlichkeitsstörung jeglicher Art, wie z.B. nicht alleine sein können, Aufmerksamkeits- und Selbstdarstellungsgeilheit via Social Media etc.
Klingt erstmal gar nicht so anspruchsvoll, oder? Zumindest trifft die Beschreibung auf eine ziemlich große Menge an Frauen & Männer zu. Und das ist der Punkt. Jeder dieser in Frage kommenden Frauen & Männer hat potenziell die Möglichkeit dich zu verzaubern. Du musst es nur zulassen.
Die Thematik wurde in den letzten Jahren auch immer stärker in der Literatur aber auch Wissenschaft angegangen. Jeder kennt Bücher mit den klangvollen Titeln wie „Liebe dich selbst und es ist egal wen du heiratest“ u.a.
Die im Januar 2015 veröffentlichten 36 Fragen des Psychologen Arthur Aron führen mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu, dass man sich ineinander verliebt wenn man eben diese seinem Gegenüber stellt.
Das Ergebnis der Studie war glasklar: Es ist ziemlich unwichtig, ob zwei Menschen miteinander übereinstimmen – das gilt sogar für wesentliche Überzeugungen.
Es ist auch irrelevant, ob sie voneinander erwarten, dass der jeweils andere sie mag. Was Menschen einander nahebringt, ist, dass sie ihre Herzen öffnen – oder im Jargon der Wissenschaft zu sprechen: Ein wichtiges Muster, das mit der Entwicklung einer starken Beziehung zwischen Ebenbürtigen zusammenhängt, ist die anhaltende, eskalierende, gegenseitige, personalistische Selbstoffenbarung. - http://www.welt.de/vermischtes/article136920662/Mit-36-Fragen-koennen-Sie-sich-verlieben.html
Würde ich von der Vergangenheit auf die Zukunft schließen, dann wäre als nächstes wieder eine überstürzte Beziehung an der Reihe. Das wird jedoch nicht passieren. Meine Verhaltensweise beim Prozess des Kennenlernens wird sich in Zukunft nicht großartig ändern. Ich werde mir weiter die Zeit nehmen, die Frau über mehrere Monate kennenzulernen, ohne bereits nach ein paar Wochen auf Grund von Äußerlichkeiten zu entscheiden dass es Sinn macht. Aber ich werde mir auch regelmäßig die Frage stellen, ob da nicht mehr ist als ich mir eingestehen möchte. Ich werde früher mitteilen, wie ich denke und fühle, um mir nicht nach Monaten vorwerfen zu müssen, dass es evtl. doch geklappt hätte, wenn ich nicht so unnahbar und verschlossen gewesen wäre.
Take care
Viper