Entschleunigung
Eintrag erstellt von DeanNarratore · - 837 Ansichten
Entschleunigung
Neue Weltrekorde sind aufgestellt. Speziell jener von David Lekuta Rudisha, dem 800-Meter-Läufer ist mir in Erinnerung geblieben. Meisterlich wie sich dieser Laufrecke von Sekunde 1 in Front setzt und sein eigenes Rennen läuft. Den anderen bleibt nur das Nachsehen. Mit 1:40,91 min stellt der begnadete Mittelstreckenläufer einen neuen Weltrekord auf.
Olympia ist beendet.
Rudisha ist jetzt ein Held in Kenia. Schon bei seinem Sieg in Daegu 2011, bei den Weltmeisterschaften, wurde zur Feier eine ganze Rinderherde geschlachtet. Eine Feier, eine Freude fürs Land.
Früher, wäre dies das Ende der Jubelfeier, doch jetzt wird Rudisha auch auf Schritt und Tritt verfolgt werden. Und zwar nicht nur von seinem Heimatstaat, sondern auch von allen anderen Staaten der Welt.
Der große Champion ist er geworden.
Man möge sich jaaaa nicht vorstellen was passieren würde, sofern er bei einem globalen Wettkampf nicht gewänne.
Zurück zu Daegu 2011. Usain Bolt ist in Position zwischen Yohan Blake und Richard Thompson. Die Pistole feuert einen Knall, jedoch werden die bereits losgaloppierten Sprinter zurückgepfiffen. Einer von ihnen startete zu früh. Es war Bolt.
Nicht alle, aber sicherlich viele werden die Berichte über diesen mittlerweile historischen Fehlstart, der mich persönlich an den des Jürgen Hingsen erinnert, mitbekommen haben.
„Wird Bolt wieder zu früh starten?“ - „Ist er Blakes Starterfähigkeiten gewachsen?“ und,und,und...
Er hat alle Kritiker verstummen lassen und alle Blinden haben nun eingesehen das auch in Zukunft jeder 100-Meter und 200-Meter-Sieg nur über ihn geht.
Was Rudisha und Bolt gemeinsam haben ist nicht nur der Fakt das sie beide meisterlich in ihren Disziplinen sind, sondern auch das sie immer wieder nur an ihren Rekorden, ihren Medaillen gemessen werden. Und nicht nur das, von ihnen werden auch weitere Medaillen und Rekorde erwartet, da sie ja schon gezeigt haben, das sie es können.
Und hier wären wir angelangt. Wo sich jeder Champion seines Sieges langsam bewusst geworden ist und schon die Hoffnung auf weitere Erfolge sät. Wenn es dann aber nichts zu ernten gibt, dann Gnade ihm nicht einmal Gott.
Innerhalb unserer Leistungsgesellschaft lassen sich offensichtliche Vergleiche und Parallelen hierzu ziehen. Jeder Arbeiter, Manager, Top-Angestellte, sogar Schüler, wird, wie soll es auch anders sein, an seinen Leistungen gemessen. Natürlich wird jeder dafür auch belohnt. Der Arbeiter kriegt einen Tag mehr frei. Der Manager kriegt eine Reise in die Karibik um dort mit dem Top-Angestellten sich zu streiten, welche Dame doch zuerst beglückt werden darf. Und der Schüler kriegt Extra-Taschengeld.
Das unsere Industriegesellschaften eine Eigendynamik entwickelt haben lässt sich zum Beispiel daran beweisen, das die Schüler anstatt 13, jetzt 12 Jahre zur Schule gehen. Positiv ist, das der Schüler so recht schneller zu einem der Top-Angestellten werden kann um in beispielsweise Puerto Rico sich auszutoben. Negativ ist, das sich auch so ein größerer Erfolgsdruck ergibt. Alles wird fabriziert, komprimiert und in das Schülergehirn bis zum Rand voll reingehauen.
Der Kampf nach Höchstleistungen, nach dem „höher, schneller, weiter“ ist im Sport fest verankert und wird heutzutage in der Gesellschaft als Exempel und als Leitbild statuiert.
Dieses Gezerre und Gedränge nach dem ersten und besten Platz an der Sonne führt zur Hektik. Diese endlose Hast nach dem Spot im Scheinwerferlicht endet im deprimiert-enttäuschten Einsehen, zwar alles gegeben zu haben, aber aufgrund von „falscher Hekunft/ falscher Hautfarbe/zu wenig Ansporn/mangelndem Ehrgeiz...“ doch versagt zu haben.
Es muss alles HIER UND JETZT stattfinden. Es muss nicht an 5 Abenden jeweils eine Party stattfinden, sondern an einem Abend 5. Es sollen mich nicht nur 2 Frauen anrufen sondern 10.
Ich möchte mich nicht nur mit drei Frauen innerhalb eines Monats vergnügen, sondern sogar innerhalb einer Woche mit 30!
Wo soll das ganze hinführen?
Ich frage mich manchmal ob Usain Bolt weiß, das rein mathematisch der 100-Meter-Weltrekord „nur“ auf bis zu 9,33 Sekunden gedrückt werden kann. Das ist die Grenze, welche als „machbar“ markiert wurde. Man siehe, auch der schnellste Mensch hat eine Marke, die er nicht überwinden kann.
Jeder Mensch hat seine Grenzen und im Bezug auf Beschleunigung haben wir sie bereits alle überschritten.
Dem Streben der Berufswelt nach Effektivität, nach Leistung können wir schlecht widersprechen. Jeder muss seine Brötchen verdienen. Seine Miete bezahlen. Seine Kinder ernähren.
Warum dann innerhalb seiner vier Wände diesem Druck nicht Einhalt gebieten?
Es geht hier nicht um die Langsamkeit als Selbstzweck, oder Faulheit und Trägheit, die mit dem Wort „langsam“ assoziiert werden.
Es geht um Abstand, klare Grenzen ziehen.
Es ist wichtig sich seine eigenen Inseln zu schaffen. Seine Ruhepausen zu nehmen. Zu Regenerieren.
Seine „Ichs“ einzustufen und in bestimmten Momenten, einem „Ich“ mehr Wichtigkeit einzugestehen, als dem anderen. Während der Arbeit ist es mein „Karriere-Ich“. Zu Hause mit Frau und Kind ist es das „Familien-Ich“. Das andere hat vorerst das Recht zu Schweigen.
Entschleunigung kann in vielen Maßnahmen stattfinden.
-Entspannung
-Enthaltsamkeit
-Ruhe
- …... (hier fülle jeder so viele Begriffe ein, wie er will und für passend befindet)
Die Vereinfachung des Lebens, eine Übersichtlichkeit zu gewähren und zu wahren, und auch einfach mal „loslassen“ zu können sind als Ziele der Maßnahmen zu sehen.
Sich auf seine elementaren Dinge, die für einen Selbst unabdingbar sind, zu konzentrieren, das ist für mich, Entschleunigung.
Innerhalb der Arbeitswelt gilt es als „schwach“ und „unmännlich“ sich Pausen einzuräumen. Wenn ich mich an den Rücktritt Ralf Rangnicks als Schalke-Cheftrainer erinnere...
Druck.Hektik.Leistungszwang. Alles Symptome, die oben geschildert stehen.
Burnout ist die Tochter des Übels ÜBER-Beschleunigung.
Es erfordert im Gegensatz zu dem Irrglauben, es sei unmännlich sich Pausen zu gewähren, mal nicht „mit-zu-hetzen“, viel Mut Entschleunigung zu fordern und umso mehr sie sich zu gewähren.
Viele Menschen fürchten einen Leistungsverlust, wobei dies nicht der Fall ist. Man beginnt nur „Haus-zu-halten“. Bei einer kleinen Rücknahme der Beschleunigung ist noch lange nicht die Drosselung der gewohnten Geschwindigkeit in Sicht....
In Bezug auf materiellen Besitz, der thematisch recht nah erscheint, gilt es zu sagen:
Desto mehr man hat, umso weniger kann man auch ins Auge fassen.
Mit Prophezeiungen ist es immer eine Lotterie, aber im Bezug auf Entschleunigung lässt sich sagen, dass der Mensch der am wenigsten braucht, am reichsten sein wird.
Möge jeder von Euch sich seine eigenen Inseln bauen,
DeanNarratore
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